Version vom 13.09.2011
Erstversion vom 19.06.2011

Der Euro als soziales Dilemma

Der Euro hat Konstruktionsfehler, weil er gegen ganz elementare spieltheoretische Erkenntnisse verstößt: Er ist ein „soziales Dilemma“. Dieser Konstruktionsfehler ist so gravierend, dass er eine Gefahr für den gesamten Wohlstand Europas darstellt. Lesen Sie hier, woran das liegt.

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Wie verhindert man Kooperation?

Es gibt sehr wirksame Mittel gegen die Kooperation. Das mag seltsam klingen, aber ich sagen Ihnen gleich, in welchen Fällen man tatsächlich die Kooperation zwischen Menschen verhindern will und wie die Mittel gegen Kooperation aussehen.

Hier nur so viel: Man erkennt diese Kooperationskiller oft nicht sofort, weil sie getarnt daherkommen. Und dann kann es passieren, dass man sie versehentlich anwendet, wenn man eigentlich gerade will, dass die Menschen kooperieren. Genau das ist beim Euro passiert: Wir haben Mechanismen geschaffen, von denen wir glauben, sie würden die Kooperation unter den europäischen Ländern fördern; dabei bewirken Sie das genaue Gegenteil.

Sehen wir uns zunächst an, wie Kooperationskiller funktionieren:

Es gibt Situationen, in denen Menschen etwas tun möchten, was andere nicht wollen. Wenn wir es zum Beispiel für gesellschaftlich schlecht halten, dass es Kartelle gibt, dann versuchen wir Regeln zu erlassen, die Kartelle verhindern. Da Kartelle nichts anders sind als die Kooperation von Konkurrenten, sind Anti-Kartell-Gesetze gute Beispiele für Regeln, die Kooperation verhindern sollen.

Diese Regeln funktionieren nach einem einfachen Prinzip: Man schafft eine Situation, in der es für jeden einen Vorteil hat, einzeln aus dem Kartell auszuscheren. Dann stehen alle potenziellen Kartellmitglieder vor einem Dilemma: Wenn sie beim Kartell mitmachen, dann verdient zwar die Gruppe als ganzes mehr, aber jeder einzelne könnte noch mehr verdienen, indem er ausschert. Indem aber jeder ausschert, gibt es das Kartell nicht mehr. Und wenn es das Kartell nicht mehr gibt, lohnt es sich erst recht „auszuscheren“. In der Sprache der Spieltheorie nennt man das eine dominante Strategie: Auszuscheren ist für den einzelnen immer besser als mitzumachen, egal was die anderen tun. Und weil das für alle gilt, macht niemand mit, obwohl mitmachen für die gesamte Gruppe sehr lohnend wäre. Diese Situation nennt man ein „soziales Dilemma“. Soziale Dilemmata sind Spielregeln, die die Kooperation unter den Spielern verhindern.

Eben hatten wir einen Fall, in dem wir es gesellschaftlich gut finden, dass Kooperation verhindert wird. Genau deshalb wurde ein soziales Dilemma als Regel geschaffen. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen die Kooperation sehr wünschenswert ist; und es ist offensichtlich, dass man in diesen Fällen Regeln schaffen muss, die Kooperation fördern, nicht verhindern. Aber seltsamerweise geschieht sehr oft das Gegenteil. Aus Versehen wird oft ein soziales Dilemma geschaffen, und dann wundern sich alle, dass es keine Kooperation gibt. Das liegt auch daran, dass man soziale Dilemmata oft nicht leicht als solche erkennt.

Soziales Dilemma – ein Beispiel

Dafür gibt es ein geradezu klassisches Beispiel, an dem man das Prinzip sofort erkennt: Drei alte Freunde fahren gemeinsam mit ihren Harleys durch die Berge und kehren abends ein. Niemand will pingelig sein, und so einigt man sich darauf, zum Schluss die Rechnung einfach durch drei zu teilen, anstatt dass jeder einzeln bezahlt. Da die Unterschiede zwischen den einzelenen Rechnungen nicht so riesig sind, wäre es schließlich kleinkariert, die Centbeträge auseinanderzurechnen. Das klingt harmlos, nicht wahr? Ist es aber nicht. Denn diese unschuldig scheinende Regel ist ein soziales Dilemma.

Das erklärt sich so: Jeder der drei Harley-Fahrer würde normalerweise eine Hauptspeise essen und dazu zwei (natürlich alkoholfreie) Biere trinken. Fahrer 1 würde zwar eigentlich gern einen Nachtisch essen, findet ihn aber zu teuer und würde ihn daher normalerweise weglassen. Fahrer 2 geht es ebenso mit der Suppe und Fahrer 3 mit einem Vorspeisenteller. Zahlt jeder einzeln, dann bleibt es auch dabei. Wird die Rechnung aber geteilt, dann bezahlt jeder einzelne auf einmal gar nicht mehr seine Zusatzspeise ganz, sondern nur noch ein Drittel davon.

Nehmen wir einmal Fahrer 2 mit seiner Suppe. Sie kostet 6 Euro (was übrigens fast 12 Mark sind, worauf wir später noch zurückkommen werden). Diese 6 Euro findet er zu viel für eine Suppe, für 2 Euro hingegen würde er sie essen. Indem die Rechnung durch drei geteilt wird, kostet sie ihn aber tatsächlich nur noch 2 Euro. Das kann er sich leisten und bestellt sie. Fahrer 3 hört das und weiß nun, dass er die Suppe des anderen subventioniert, wenn er seinen Vorspeisenteller nicht bestellt, also bestellt er ihn, obwohl er ihn mit 12 Euro eigentlich zu teuer findet. Das gleiche passiert danach mit Fahrer 1, der guten Gewissens beim Nachtisch zuschlägt. Aus dem gleichen Grund trinken alle zwei Bier mehr als sie sonst getrunken hätten und legen noch einen Schnaps nach. Am Ende bezahlen alle das doppelte, weil sie über ihre Verhältnisse gelebt haben.

Das gemeinsame Zahlen ist eben ein soziales Dilemma. In dieser Situation ist es immer rational, mehr zu bestellen als man bestellt hätte, wenn einem der Preis voll zugerechnet würde. Denn, wenn die anderen beiden es nicht tun, zahlt man nur ein Drittel; tun die anderen es auch, dann vermeidet man wenigstens, dem anderen die Suppe zu bezahlen, von der man selbst nichts hat. Mehr zu bestellen als man will, ist hier eine dominante Strategie. Auf diese Weise verzerrt die Art zu bezahlen das Preissystem. Während die unverfälschten Preise den drei Harley-Fahrern eigentlich sehr genau sagen, wieviel sie bestellen wollen, setzt das Rechnung-Teilen die im Preis steckende Information außer Kraft und führt zu einem Überkonsum, den am Ende alle bereuen.

Es ist also keineswegs so, dass das Aufteilen der Restaurantrechnung nur einen kleinen Effekt im Bereich der Rundungsfehler hat. Vielmehr ändert es komplett das Verhalten der Beteiligten. Und das leider in einer Weise, die man in dieser Situation eigentlich nicht will: Es führt zu unkooperativem Verhalten.

Dieser Effekt wirkt schon unter guten Bekannten, die gemeinsam essen gehen. (Natürlich gibt das am Ende niemand zu und redet sich stattdessen ein, man habe ja nur deshalb so viel konsumiert, weil es gerade so gemütlich war. Komischerweise passiert das nicht, wenn man einzeln bezahlt.) Immerhin es gibt bei engen Freunden noch soziale Gepflogenheiten, die die Übertreibung noch ein wenig in Zaum halten. Jetzt stellen Sie sich aber bitte einmal folgende kleine Variante vor: Auf der Speisekarte Ihres Restaurants steht ein Hinweis, dass alles, was Sie heute Abend konsumieren, mit dem zusammengerechnet wird, was gerade eine andere Gruppe in Amerika konsumiert; und erst am Ende wird die Gesamtrechnung durch die Anzahl der Personen an beiden Tischen geteilt.

Können Sie sich vorstellen, wie das Ergebnis ausfällt? Beide, Sie und die unbekannten Amerikaner, werden kurze Zeit schwelgen und weit über Ihre Kosten leben. Dann sind beide pleite. Das einzig sinnvolle, was Sie in einer solchen Situation tun könnten, wäre so schnell wie möglich das Restaurant zu verlassen.

Soziale Dilemmata – gibt es die denn wirklich?

Wenn Sie jetzt denken, eine so unsinnige Regel könne doch niemand anwenden, dann irren Sie sich. Die Welt ist voll solcher Regelungen; mal sind sie sichtbar und mal sind sie versteckt, aber da sind sie. Es ist sogar noch schlimmer: Oft werden diese Kooperationskiller so getarnt, dass es aussieht, als sollten Sie die Kooperation fördern. Sie erkennen das meist an dem wohlklingenden Wort „Solidarität“.

Nehmen Sie die Solidarität zwischen den Bundesländern, den Länderfinanzausgleich. Das ist im wesentlichen eine Regelung, nach der Bundesländer mit einem Einnahmenüberschuss Geld an die anderen Bundesländer zahlen, die ein Defizit haben. Es handelt sich bei dieser Regelung um den Einstieg in ein soziales Dilemma. Es ist kein „echtes“ Dilemma, weil die Ausgaben nicht einfach komplett auf alle Bundesländer umgelegt werden, sondern die reicheren Bundesländer unterm Strich mehr behalten können als die ärmeren. Aber die Richtung geht zum Dilemma: Wenn man den Status „arm“ hat, dann hat man keinerlei Anreiz, zu sparen. Warum sollte man? Der negative Anteil wird ja von den anderen übernommen. Zu sparen hieße lediglich, den reicheren Bundesländern mehr Geld zu lassen. Davon hat man nur Nachteile, keinen Vorteil. Für die armen Länder gibt es damit immer einen Anreiz, über die Verhältnisse zu leben – und genau das tun sie auch.

Wenn wir heutzutage die Wörter arm und reich hören, dann halten wir es geradezu reflexartig für angebracht, dass die einen den anderen etwas abgeben sollen und nennen das Solidarität. Was wir nicht sehen ist, dass es auch zur Solidariät gehört, etwas gegen die eigene Bedürftigkeit zu tun. Die reichen Ländern sind nicht einfach deshalb reicher, weil sie mehr Würfelglück hatten. Sondern sie sind reicher, weil die Menschen dort mehr arbeiten, weil sie ein besseres Bildungssystem haben, weil die Politiker das vorhandene Geld für Investitionen ausgeben statt für Konsum, weil das politische System gute Mitwirkungsmöglichkeiten bietet. Und so weiter.

All das ist anstrengend. Es erfordert die Einsicht, dass man später mehr haben wird, wenn man jetzt verzichtet. Die reichen Ländern haben genau das getan, deshalb sind sie jetzt reich. Aber wir tun heutzutage so, als gäbe es den Reichtum gratis und vergessen deshalb, das Kooperation immer etwas Zweiseitiges ist und deshalb auch von den „Armen“ zu erbringen ist. Das Schlimmste daran ist, dass wir auf diese Weise eine Situation schaffen, in der die Armen zum Armsein verdammt sind. Denn unser Ruf nach „Solidarität“ schafft ein soziales Dilemma.

Dieses Dilemma wirkt wie bei der gemeinsamen Rechnung im Restaurant: Es erzeugt ein Verhalten, das schlecht für alle ist. Es bewirkt, dass die armen Länder sich mehr darum kümmern, Finanzausgleich zu erhalten, als reich zu werden. Es bewirkt auch, dass die reichen Länder weniger für ihren Reichtum tun, weil sie ihn nur zu einem kleineren Teil behalten können. Ein so konstruiertes Dilemma ist viel mehr als eine „Umverteilung“, denn bei einer Umverteilung geht zunächst einmal nichts des Reichtums verloren. Das ist beim Dilemma anders: Es sorgt dafür, dass Wohlstand vernichtet wird, weil alle ihr Verhalten ändern und dadurch ärmer werden, egal ob sie vorher als reich oder arm galten.

Leider sind die meisten Formen der Solidarität und Umverteilung als soziales Dilemma konstruiert und damit als effektive Methode, Menschen arm zu machen. Vergessen wir nicht: Ein Dilemma ist eine Spezialkonstruktion zur Verhinderung von Kooperation. Das bleibt es auch dann, wenn es getarnt daherkommt.

Und wieso ist der Euro ein soziales Dilemma?

Der Wert einer Währung entsteht im wesentlichen durch Vertrauen. Um dieses Vertrauen aufrechtzuerhalten braucht man die Mitwirkung aller Beteiligten: Den Willen, Schulden zu begleichen; die Einsicht, wo Schuldengrenzen liegen, die nicht überschritten werden sollten; den Willen, die eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Das Geld ist etwas, zu dessen Wert alle beitragen müssen. Das ist nichts, was eine Zentralbank allein regeln könnte, selbst wenn sie wollte.

Stellen Sie sich nun drei Staaten vor, die ihre individuellen Währungen aufgeben und eine gemeinsame Währung einführen. Gleichzeitig entscheidet aber jeder einzelne Staat weiterhin über seine Ausgaben und seine Verschuldung. Es ist jetzt die gleiche Situation wie bei unseren drei Harley-Fahrern, die die Restaurantrechnung teilen: Die Kosten, die der einzelne verursacht, werden auf alle drei aufgeteilt. Wenn einer der drei Staaten seine Verschuldung steigen lässt, dann entfällt der größere Teile der damit verbundenen Probleme nicht mehr auf ihn selbst, sondern auf die Rest der Gemeinschaft. Damit wird die zu hohe Verschuldung aus Sicht jedes einzelnen vernünftig, und folglich macht er es. Leider gilt das für jeden der Teilnehmer.

Im Beispiel von eben waren es drei Beteiligte. Können Sie sich vorstellen, was bei 23 Teilnehmern am gemeinsamen Essen passiert? Und was passiert, wenn diese 23 Teilnehmer unterschiedliche Sprachen sprechen, sich kaum kennen und mitunter tausende von Kilometern auseinander wohnen? Wenn diese 23 Teilnehmer unterschiedliche Gewohnheiten und Erfahrungen haben? Wenn diese 23 Teilnehmer andere Erwartungen darüber haben, was sozial richtig oder falsch ist? Wenn sie dem Essen unterschiedliche Bedeutung beimessen und unterschiedliche Speisen mögen? Wenn Sie sich all das vorstellen können, dann können Sie sich auch vorstellen, was mit der gemeinsamen Währung Euro passiert, wenn 23 Mitgliedsstaaten unter exakt diesen Bedingungen daran teilnehmen.

Warum dieser einfache Sachverhalt so wenig erkannt wurde, ist mir nicht klar. Aber immerhin haben schon die Väter des Euros irgendein Bauchgefühl in diese Richtung gehabt und haben Maßnahmen gegen dieses Dilemma ersonnen, das sie selbst erst geschaffen haben, ohne es zu erkennen. Leider enthalten diese vermeintlich schlau ausgeklügelten Schutzmaßnahmen ihrerseits Konstruktionsfehler, die sie wirkungslos machen. Ich schreibe an anderer Stelle, woran das liegt, aber hier nur so viel: Obwohl viele Länder, teils erheblich gegen die Vorschriften verstoßen haben, gab es keine einzige Strafmaßnahme dagegen. Nicht eine. Jeder durfte also in der Vergangenheit ungeniert über seine Verhältnisse leben – wie bei unseren Harley-Fahrern im Restaurant. Mit dabei im Club der Sünder waren übrigens auch die Länder Deutschland und Frankreich.

Der Rettungsschirm als Super-Dilemma

Nun könnte man meinen, dass dieses Problem erkannt ist und das im Euro angelegte soziale Dilemma im Zuge von Verbesserungen wieder beseitigt wird. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die katastrophalen Folgen, die der falsch konstruierte Euro schon hatte, sollen ausgerechnet mit einer noch viel größeren Dilemma-Konstruktion beseitigt werden. Sie nennt sich Euro-Rettungsschirm (oder vornehm: ESM, Europäischer Stabilisierungsmechanismus). Es handelt sich dabei um eine weitere Abschwächung der Maßnahmen, die ursprünglich einmal als Schutz gegen den Kooperationskiller Euro gedacht waren (dass diese Aufweichung früher oder später auftreten würde, war allerdings ebenfalls von Anfang an klar; den Grund dafür erläutere ich wie gesagt noch einmal in einem separaten Beitrag).

Kurz und knapp lässt sich der Rettungsschirm wie folgt zusammenfassen: Wenn ein Staat seine Schulden nicht mehr bedienen kann, dann springt die Gemeinschaft dafür ein. Ein effektiveres soziales Dilemma könnte man kaum schaffen, selbst wenn man sich Mühe gäbe. Und ein größeres auch nicht. Denn der Rettungsschirm hat (derzeit) ein Volumen von insgesamt 750.000.000.000 Euro (also 750 Milliarden). Wieviel davon auf Deutschland entfällt, lässt sich kaum noch richtig nachvollziehen, aber nehmen wir einmal die Untergrenze von 120 Milliarden, die der deutsche Beitrag für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität sind (von der ein Teil der Summe aufgebracht wird). Der deutsche Etat für Forschung und Bildung betrug im Jahr 2010 weniger als 12 Milliarden – das sind etwa 1,6% der Rettungsschirm-Summe und 10% des deutschen Beitrags. (Was aufgrund der EU-Beiträge und aufgrund der von der EZB aufgekauften Ramschanleihen noch auf uns entfällt, ist hier nicht mit eingerechnet.)

Das Geld, mit dem hier europaweit gespielt wird, ist so hoch wie unsere Bildungsausgaben für über 60 Jahre. Mit dem deutschen Beitrag daran könnten wir „nur“ für 10 Jahre unsere gesamten Forschungs- und Bildungsaktivitäten bezahlen. Peanuts sind das also nicht, die hier in das soziale Dilemma gepumpt werden. Und machen Sie sich bitte klar: Diese Beträge werden nicht etwa für Zukunftsaufgaben ausgegeben, wie neue Energietechnik oder Bildung; das Geld wird in kurzfristigen Konsum gepumpt, den die Beteiligten als unsinnig einstufen würden, wenn es das Dilemma namens Euro nicht gäbe. Diese Summe macht uns nicht in Zukunft reicher, sondern sie zementiert falsche Verhaltensanreize, die uns arm machen. Es geht hier nicht um einen Nachtisch, den wir zu viel essen, sondern es geht um unsere Zukunft.

Denken Sie bitte auch nicht, die enormen Milliarden-Zahlungen seien ein gerechter Ausgleich von den reicheren an die ärmeren Mitgliedsstaaten. Ohne hier diskutieren zu wollen, ob solche Umverteilung gerechtfertigt wäre oder nicht: Der Euro bewirkt diese Umverteilung gar nicht. Stattdessen macht er alle ärmer, die armen genauso wie die reichen. Denn der Euro schafft den Anreiz, Dinge zu tun, die es dem einzelnen eigentlich nicht wert sind, getan zu werden. Der Euro  schafft diesen Fehlanreiz aber so subtil, dass wir ihn nicht erkennen, denn das Dilemma erzeugt einen kurzzeitigen Mehrkonsum, durch den wir einige Jahre reicher zu sein glauben als wir sind. Es ist wie beim gemeinsamen Essen: Wir schwelgen zusammen und fühlen uns gut – und sind entsetzt, wenn die Rechnung kommt.

Wir alle, die reichen wie die armen, verschwenden durch die Dilemma-Situation unser Geld für billigen Schund und werden das später bitter bereuen. Statt für Bildung und für neue Energien geben wir unser Vermögen für Großbildfernseher und Designeruhren aus, die in wenigen Jahren veraltet sein werden. Das ist der Anreiz, der vom Kooperationskiller Euro ausgeht.

Der Euro ist ein Konstruktionsfehler

Viele denken, die Euro-Krise sei vorübergehend. Das ist sie nicht. Es mag sein, dass sie für ein paar Jahre wieder überdeckt wird, weil die Milliarden des „Rettungsschirms“ erst einmal verbraucht werden müssen.

Aber sie werden verbraucht, und dann wird die Krise nur umso schlimmer kommen, weil wir noch länger nichts gegen ihre Ursachen getan haben. Denn der Konstruktionsfehler des sozialen Dilemmas ist ganz zentral im Euro angelegt; das Dilemma ist gewissermaßen das Herz des Euros. Solange die Mitgliedstaaten weitgehend unabhängig über ihre Haushalte entscheiden können und gleichzeitig der Euro die Kosten des Konsums auf alle verteilt, solange bleibt das Dilemma bestehen.

Und solange es besteht, ist der Euro eine spezielle Konstruktion dafür, die Kooperation unter den europäischen Ländern zu verhindern. Wollten wir das wirklich?

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9 Gedanken zu „Euro-soziales-Dilemma

  1. Da der Euro schon mit diesem Fehler geboren wurde (siehe oben), wird es wohl keine durchführbare Reform geben. Nachteile, auch im Urlaub, dürften marginal sein; bestimmt gibt es innerhalb kürzester Zeit entsprechende Apps zum Umrechnen der einzelnen Währungen, ansonsten hat jedes Handy heute nen Taschenrechner.
    Staatsbankrott einzelner Länder wäre durchführbar, aber nur kombiniert mit einer Währungsreform im jeweiligen Land. Sonst hätte das Ganze überhaupt keinen Effekt (außer der Massenenteignung der betroffenen Bürger wie bei jedem Staatsbankrott, nur ohne die Chance auf einen Neuanfang).
    Die schlechteste Option wäre eine Weiterführung des Euro, denn das kann nur in eine Inflation führen und damit zu einer schleichenden Enteignung ALLER (abgesehen von den Insidern). Dummerweise sind wir auf diesem Weg schon sehr weit fortgeschritten und die EZB versucht, mit Nullzinspolitik und Aufkäufen von Staats- und Unternehmensanleihen (dadurch wurde der Markt für Anleihen faktisch ausgehebelt) den Brand mit Benzin zu löschen.
    Letztendlich bleibt nur die Wahl zwischen einem Ende mit Schrecken (denn eine sofortige Auflösung des Euro-Raumes würde zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen führen) und einem Schrecken ohne Ende, nämlich der Verarmung des größten Teils aller Europäer.

  2. Ist der Brexit rational verständlich oder eine populistische Aktion? Sollten alle Euro-Staaten über einen Austritt abstimmen? Wie ließe sich die Währungsunion rückabwickeln? Oder wäre die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa mit einer gemeinsam gewählten Regierung und der Auflösung aller nationalen Regierungen die Lösung des sozialen Dilemmas?

    1. Das sind interessante Fragen, über die ich aber nicht einfach hier in den Kommentaren antworten kann. Wenn ich die Zeit finde, behandele ich diese Themen evtl. einmal in einem Beitrag…

      1. Meiner Meinung nach wäre es auf jeden Fall sehr interessant, für beide zwei Mechanismen-Entwürfe zu erstellen.
        Einen zur Ist-Analyse und einen zum volkswirtschaftlichen Potential bei konsequenter Regel-Optimierung.
        Beide Texte haben heute 300 Seiten, die selbst von Juristen nicht mehr verstanden werden.

  3. Lieber Herr Rieck,

    das klingt ziemlich interessant, jetzt wäre meine Frage aber, haben sie eine Idee wie man das ganze mit Euro beheben kann? Also ohne die Europäische Idee zu zerstören?
    Ein ähnliches, wenn auch deutlich abgeschwächtes Argument, gibt es schließlich auch für die einzelnen Bundesländer usw…..
    Mir liegt nuneinmal viel am Euro und seinen Lebenserleichternden Effekten.

    Lieben Gruß

    Steffen

    1. Die lebenserleichternden Effeke des Euros sehe ich nicht so sehr deutlich – aber abgesehen davon wird er wohl in absehbarer Zeit nicht abgeschafft werden, und ich habe da schon ein paar Vorschläge, wie man die Konstruktion verbessern könnte. Hier nur zwei davon:

      1. Kein Angst vor Staatsbankrott einzelner Mitgliedstaaten. Ein Bankrott ist kein Bug, sondern ein Feature. Nur damit kommen die Kosten dort an, wo sie verursacht werden.
      2. Einteilung der Staatspapiere in verschiedene Ränge, also sozusagen grüne, gelbe und rote Staatsanleihen, je nachdem, bei wieviel Prozent Schuldenstand (gemessen am BIP) sie ausgegeben wurden. Auf diese Weise gibt es ein direkteres Feedback vom Markt, wo man gerade steht.

      Sorry, wenn das hier zu kurz ist, um richtig veständlich zu sein. Vielleicht schreibe ich das einmal ausführlicher auch hier auf meiner Seite.

      1. Ehrlich gesagt nehme ich die lebenserleichternden Effekte auch immer nur wahr wenn ich nach Frankreich in den Urlaub fahre, oder mit meinem Rad durch Europa Tingel. Im normalen Arbeitsalltag bemerke ich den Unterschied auch kaum bis gar nicht. (Wobei mein EuroKollektor aus Kindheitstagen beim Ende des Euros deutlich an Wert gewinnen würde ^^)

        Das sind ja schoneinmal zwei schöne Möglichkeiten. Das Feedback muss wohl einfach klarer sein, ähnlich wie bei den Harley Fahrern die gemeinsam essen gehen. Wenn entsprechend unsolidarisches Verhalten ausreichend sanktioniert wird, und sich dieses somit nicht mehr lohnt, kann das ganze Konstrukt wohl überleben.

        Auf Bald 😉

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