Version vom 19.04.2006

Anreize in der Praxis

Was Bußgeldbescheide mit Nepp-Faxen zu tun haben
Es gibt Straßen, in denen es richtig gefährlich ist, schnell zu fahren. Und weil es dort so gefährlich ist, fahren auch nur Wenige zu schnell. Das ist Spieltheorie: Sich zu überlegen, wie Menschen auf Anreize reagieren. Aber bisher war es noch gar kein richtiges Spiel, denn wir hatten nur einen Spieler (den Autofahrer) und die Umwelt (die häufiger das Ereignis „Unfall“ wählt, wenn die Straße gefährlich ist und man schnell fährt).

Die Spieltheorie geht einen Schritt weiter: Was tun denn andere Spieler in dieser Straße? Zum Beispiel die Polizei? Sie macht natürlich meist nichts, denn weil es gefährlich ist, fahren nur wenige schnell, und wenn nur wenige schnell fahren, dann lohnen sich keine Geschwindigkeitskontrollen. Die lohnen sich dort, wo man gefahrlos schnell fahren könnte, es aber nicht darf. Auch das sind Anreize.

Und wie stellt die Stadt die Verkehrsschilder auf? Dazu muss man sich fragen, wo denn die Verwarnungs- und Bußgelder landen. Richtig: Bei denen, die die Schilder aufstellen. Könnte es sein, dass man deshalb durchaus erstaunlich oft unverständliche Verkehrssituationen findet, wie zum Beispiel Parkautomaten, die umgeben von Parkverbotsschildern sind? Der Charme besteht darin, dass man gleich zweimal kassieren kann: Einmal die Parkgebühr und dann gleich nochmal das Verwarnungsgeld, weil der Autofahrer versehentlich doch an der verbotenen Stelle geparkt hat, ohne es zu merken, weil sie so unscheinbar wie nur möglich gekennzeichnet war. Das könnte man ändern, aber derjenige, der es ändern könnte, verdient viel Geld damit, dass er es nicht tut. Wieso sollte er es ändern?

Das gibt es auch außerhalb des Straßenverkehrs. Ein deutscher Gewerbetreibender hat zum Beispiel zig Melde- und Abgabevorschriften zu befolgen, die ihm nicht nur Geld abnehmen, sondern auch viel Arbeitszeit. Deshalb liest er nicht alle Briefe sehr sorgfältig, weil er die knappe Zeit für Wichtiges nutzen muss. Das ist ein Anreiz.

Als Folge kommen seltsame Faxe aus dem Gerät gequollen. Zum Beispiel der Eintrag in ein Branchenverzeichnis, das keinerlei Wert hat, das sich aber vom Erscheinungsbild her tarnt und entfernt aussieht wie das offizielle Verzeichnis des Branchenverbands. Korrigiert man die Adresse, bucht man den Eintrag für zwei Jahre mit halbjährlicher Kündigungsfrist zum Ende des Zeitraums. Für nur 998 Euro pro Jahr. Das ist ein Anreiz.

Spezialisieren sich nur private Nepper auf solche Strategien? In der Tagespost des gestressten Unternehmers findet sich ein Brief der Künstersozialkasse, den er zu beantworten verpflichtet ist, indem er meldet, welche Honorare er an Künstler gezahlt hat. Das merkt er aber nicht, weil er gar keine Honorare gezahlt hat. In den folgenden drei Jahren bekommt er immer wieder diese gleich aussehenden Briefe und wirft sie weg. Dann kommt ein gelber Brief mit der Aufschrift „Förmliche Zustellung“, den er sofort beim Empfang unterschreiben muss, den er also gar nicht übersehen kann. Und was steht drin? Dass er 750 Euro Bußgeld zahlen muss. An wen? Richtig, an den Absender. Der hätte natürlich auch schon vorher einmal einen Brief per Einschreiben schicken können, wie jeder andere im geschäftlichen Verkehr das auch getan hätte. Aber dann hätte er kein Bußgeld erheben können, sondern hätte eine rechtzeitig abgegebene Meldung über null Euro bekommen. Das ist ein Anreiz.

Und was ist die Moral? Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die Anreize so zu gestalten, dass die beteiligten Personen sich wünschenswert verhalten. Wenn es um die Gestaltung staatlicher Stellen geht, dann heißt es public choice, wenn es um Unternehmensführung geht, dann heißt es corporate governance, und immer geht es um die spieltheoretische Aufgabe des Mechanismus-Designs.

Und eines steht fest: Es ist ein schlechter Mechanismus, der denjenigen belohnt, der unklare Faxe oder Briefe verschickt. Deshalb ist dies im geschäftlichen Verkehr zwischen Privaten auch so weit wie möglich verboten. Nur staatliche Stellen dürfen ihre eigenen Bußgelddruckmaschinen bauen. Weil sie falsche Anreize haben, Anreize zu setzen.

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