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Version vom 19.06.2008
Erstversion vom 19.06.2008
Ebay-Bietstrategien
Wie sollte man eigentlich bei Ebay bieten, um nicht zu viel zu bezahlen? Ich verrate es Ihnen hier.
Wie wir gleich sehen werden, hängt die optimale Bietstrategie stark von den genauen Bedingungen ab, unter denen wir bieten. Um die Unterschiede zu verstehen, beginnen wir einmal mit dem Beispiel eines Unikats als Versteigerungsgegenstand. Stellen Sie sich dafür vor, ich räume meinen Keller auf und stoße dort auf das einzige Original-Manuskript der ersten Auflage meines Spieltheorie-Buches aus dem Jahr 1992, das ich umgehend in Ebay zum Verkauf stelle. Wieviel bieten Sie?
Die Bietstrategie für Unikate
Dafür gibt es zunächst einmal eine wichtige Größe: Wieviel ist Ihnen dieses Unikat wert? Bei der Beantwortung dieser Frage kann Ihnen niemand helfen, denn es ist eine rein subjektive Größe, ebenso wie die Frage, ob Sie Ihr Steak lieber well-done oder medium-rare essen. Also hören Sie ein wenig sich hinein (betreiben also „Introspektion“) und kommen zum Schluss, dass Ihnen dieses Unikat genau 1000 Euro wert ist (bitte melden Sie sich bei mir, wenn das tatsächlich zutreffen sollte, dann räume ich meinen Keller auf). Sollten Sie diesen Wert auch bieten?
Um das zu klären, muss man den Ebay-Mechanismus verstehen. Denn Ebay ist aufgrund der spieltheoretischen Auktionstheorie konstruiert. Durch den Bietagenten bezahlen Sie nämlich nicht automatisch den Preis, den Sie geboten haben, sondern nur den Preis des zweithöchsten Bieters (plus eines kleinen Inkrements, das wir hier einmal vernachlässigen). Dieses Auktionsverfahren ist eine modifizierte Vickrey-Auktion (benannt nach William Vickrey, dem 1996 der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen werden sollte, der aber tragischerweise zwischen Bekanntgabe und Verleihung verstorben ist). Die Vickrey-Auktion funktioniert so, dass der Höchstbietende das zu versteigernde Gut erhält, aber nur den Preis des zweithöchsten Bieters bezahlt. Falls höchstes und zweithöchstes Gebot gleich sind, ist der Preis gleich diesem Gebot und es wird zwischen den Bietern mit diesem Gebot gelost. Technisch gesprochen ist das eine second-price sealed-bid auction, also eine verdeckte Zweitpreisauktion. Verdeckt (sealed-bid) heißt hier, dass man bei Abgabe des Gebots die anderen Gebote nicht kennt.
Die Besonderheit dieses Auktionsverfahrens besteht darin, dass es nun eine dominante Strategie ist, genau das zu bieten, was einem das Gut wert ist. Das unterscheidet die Vickrey-Auktion von der normalen Höchstpreisauktion, bei der man immer das bezahlt, was man bietet: Bei der Höchstpreisauktion lohnt es sich nicht, die eigene Wertschätzung zu bieten, weil man dann immer so viel bezahlen würde, wie einem das Gut wert ist, also in der Summe nichts durch den Kauf gewinnt. Man muss daher bei der Höchstpreisauktion absichtlich („strategisch“) unterbieten. Das braucht man bei der Vickrey-Auktion nicht, die man deshalb als anreizkompatibel bezeichnet.
Das alles wissend bieten Sie also 1000 Euro für mein Manuskript. Zwei Stunden vor Auktionsende sehen Sie auf den Preis, der bei 598 Euro steht. Sie haben also einen erheblichen Puffer und stellen schon einmal eine Flasche Sekt kalt, um zu feiern, dass Sie gleich stolzer Besitzer eines so tollen Manuskripts sein werden. Doch nach Auktionsende durchzuckt es Sie, als Sie den Preis sehen: 1002,37 Euro! „Leider wurden Sie in letzter Minute durch einen anderen Bieter überboten“ steht darunter. Meine Güte – wie konnte Ihnen das passieren?
Hüten Sie sich vor prominenten Zahlen!
Was Sie gerade gelernt haben ist die Zahlenprominenz. Das Gut war Ihnen gar nicht genau 1000 Euro wert, sondern das war nur die „prominenteste“ Zahl in der Gegend Ihrer Wertschätzung. Dass Sie gerade 1000 geboten haben, liegt ausschließlich an unserem Dezimalsystem, denn dort ist das eine einfache, eben prominente Zahl. Das ist zwar strenggenommen keine spieltheoretische Erkenntnis, sondern eine psychologische, aber eine, die Sie bei der Abgabe von Geboten beachten sollten. Um auf ein sinnvolleres Gebot zu kommen, addieren Sie daher eine Zufallszahl zu Ihrer groben Wertschätzung dazu. Wie groß diese Zufallszahl sein sollte, hängt von der Genauigkeit ab, mit der Sie Ihre Wertschätzung ermitteln können. Je genauer, desto kleiner die Zufallszahl. Wenn Sie also sehr sicher sind, dass 1000 Euro Ihre Wertschätzung ist, dann generieren Sie sich eine Zahl im 1-Prozent-Bereich, sodass Sie maximal 1010 Euro bieten. Wenn Sie auch um 10% daneben liegen können, dann basteln Sie sich lieber eine Zahl im Bereich bis 100 Euro, aber eine, die meistens schön krumm wird.
Zum Glück wissen Sie das ja jetzt und bieten 1067,73 Euro. Der Sekt steht kalt, die Auktion endet bald und wieder trifft Sie der Schlag: Da bietet doch einer tatsächlich mehr! Also erhöhen Sie Ihr Gebot. Der andere auch. Sie erhöhen wieder, er auch, Sie, er, Sie, er und so weiter. Am Ende haben Sie das Manuskript, aber der Sekt will nicht so recht schmecken, denn Sie haben jetzt 3010 Euro bezahlt. Was ist passiert? Sie haben gerade gelernt, dass Ebay doch keine ganz echte Vickrey-Auktion ist, sondern eine modifizierte Vickrey-Auktion. Die Modifikation besteht darin, dass es statt einer verdeckten (sealed bid) eine offene (open bid) Auktion ist, bei der Sie alle Gebote der anderen Bieter sehen, bis auf das jeweils höchste. Bei dem Beweis dafür, dass die Vickrey-Auktion anreizkompatibel ist, ist aber eine Voraussetzung, dass Sie durch Ihr Gebot nicht die Gebote der Anderen ändern können. Wie Sie gerade gesehen haben, trifft dies bei Ebay nicht zu. (Die Frage, ob es rational ist, dass Bieter ihr Gebot aufgrund der Gebote Anderer ändern, klammern wir hier einmal aus. Statt dessen betrachten wir es als es eine empirisch gesicherte Erkenntnis, dass das sehr oft passiert.)
Was tun Sie? Als Abwehr gegen diese Bietschlachten gibt es das Mittel des „Sniping“. Sniper sind Heckenschützen, die in den letzten zehn Sekunden ein Gebot abschießen, dann wenn kein anderer mehr reagieren kann. Brauchte man dazu in der Anfangszeit von Ebay noch eine genaue Uhr und gute Nerven, machen das heutzutage die meisten Sniper per Software. Genau das ist der Grund, weshalb die wichtigsten Gebote meist in den letzten Sekunden eingehen: Die Ebay-Teilnehmer machen aus der modifizierten Vickrey-Aktion eine normale Vickrey-Aktion.
Also werden Sie auch zum Sniper. Sie schießen Ihr Gebot von 1067,73 Euro fünf Sekunden vor Ende ab und sehen dann nach, ob Sie der Höchstbietende waren. Wenn nicht: Schade, aber dann hatte eben jemand anders eine höhere Wertschätzung, und da kann man nichts machen. Es sei denn, Sie ärgern sich jetzt doch, weil Sie eigentlich auch 3067,73 Euro hätten zahlen wollen, diesen Betrag aber aus irgendwelchen Gründen nicht geboten haben und es jetzt bereuen, wenn es zu spät ist. (Wie gesagt, melden Sie sich bei mir, ich schreibe Ihnen jetzt auch noch mit blauer Tinte eine Widmung in das Manuskript.)
Bietstrategie und Marktkenntnis
Bleibt die Frage, welche Gründe es geben könnte, sein Gebot niedriger zu limitieren als die eigene Wertschätzung ist. Interessanterweise kann das durchaus rational sein, wenn wir eine etwas andere Situation unterstellen als eben. Die Besonderheit des Versteigerungsgegenstands eben war, dass es ein reines Unikat war, das auch keine Substitute hat. Das ist aber nicht der Regelfall, denn meist gibt es mehrere Möglichkeiten, ein Gut zu erhalten. Betrachten wir einmal den Fall, in dem es zwei genau gleiche Manuskripte gibt, die ich im Abstand von zehn Minuten versteigere. Dieser Fall wird leider recht kompliziert, wenn wir die Möglichkeit zulassen, dass sich die Gebote gegenseitig beeinflussen. Daher nehmen wir vereinfachend an, die Gebote seien völlig unabhängig voneinander und es sei zufällig und gleich wahrscheinlich, welche der beiden Auktionen letztlich den höheren Preis habe. Nun haben Sie mit Ihrer Wertschätzung von 3067,73 einen Wert, der ziemlich sicher über allen anderen liegt. Was können Sie tun, um eines der beiden Manuskripte möglichst billig zu bekommen? Betrachten Sie dafür folgende Bietstrategien:
Bietstrategie 1: Sie bieten von Anfang an Ihre eigene Wertschätzung, wählen also kein bindendes Limit.
Bietstrategie 2: Sie limitieren zunächst niedriger; falls Sie das Gut in der ersten Auktion nicht gewinnen, erhöhen auf Sie auf Ihre wahre Wertschätzung, mit der sie das Gut sicher erwerben.
Um diese Bietstrategien beurteilen zu können, nennen wir die beiden Auktionen A und B und stellen eine Tabelle auf, was bei verschiedenen Gebotshöhen passiert:
Auktion A ist billiger | Auktion B ist billiger | |
Limit unter A | teuer | billig |
Limit zwischen A und B | billig | billig |
Limit über B (= kein bindendes Limit) |
billig | teuer |
(Bitte beachten Sie, dass „Limit über B“ faktisch heißt, dass Sie die Gebotsstrategie 1 wählen, also von Anfang an Ihre wahre Wertschätzung bieten.) Die Werte in der Tabelle kommen folgendermaßen zustande: Wenn Sie zum Beispiel Ihr Limit unter den Wert gelegt haben, der bei Auktion A erreicht wird (deren Endpreis Sie ja noch nicht kennen, wenn Sie das Limit festlegen), dann entgeht Ihnen die Auktion A und Sie müssen bei Auktion B kaufen. Das ist schlecht, wenn rückblickend Auktion A die billigere ist (was Sie vorher leider nicht wissen). Daher steht in der Tabelle links oben „teuer“, weil sie dann das Gut bei der teureren Auktion kaufen. Dagegen ist Ihr niedriges Limit gut, wenn Auktion B die billigere wird, weil Sie damit vermieden haben, bei der teurern Auktion A zu kaufen. Daher ist in der Tabelle in der ersten Zeile rechts „billig“ eingetragen, was heißt, dass Sie bei der billigeren Auktion kaufen.
Sehen Sie sich nun die Zeilen an. Als gewiefter Spieltheoretiker sehen Sie sofort, dass Sie im Fall von „keinem Limit“ in einem Fall billig, in dem anderen teuer kaufen. Limitieren Sie dagegen in einer Höhe, in der das Limit auch greift (also die beiden ersten Zeilen), dann verbessern Sie sich entweder und kaufen auf jeden Fall billig, oder sie kaufen wiederum in einem Fall billig und in einem Fall teuer. Allerdings gilt als Kleingedrucktes, dass es gleich wahrscheinlich sein muss, ob Auktion A oder Auktion B die billigere wird. Unter dieser Bedingung ist es eine dominierende Strategie, ein Limit unterhalb der eigenen Wertschätzung zu wählen. Mit anderen Worten: Durch ein Limit verschlechtern Sie sich in keinem Fall (im Erwartungswert), aber Sie können sich verbessern. Daher ist es hier tatsächlich rational, trotz der Vickrey-Auktion unterhalb der eigenen Wertschätzung ein limitiertes Gebot abzugeben.
Wie kann das sein, wo doch der Nobelpreisträger William Vickrey bewiesen hat, dass es in der Zweitpreisauktion rational ist, genau seine Wertschätzung auch zu bieten? Ganz einfach: Der Beweis gilt nur für eine Einmal-Auktion, hier gibt es aber zwei aufeinanderfolgende Auktionen und da gilt der Beweis nicht mehr.
Es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen, wann die Limit-Bietstrategie erfolgreich ist: Nämlich dann, wenn das Limit zwischen den beiden Auktionspreisen liegt. Ob diese Bietstrategie tatsächlich zum Kauf bei der billigeren Auktion führt, hängt also davon ab, wie gut man es schafft, zwischen die beiden Auktionspreise zu treffen. Denn nur dadurch gelingt es, die teuere von der billigen Auktion zu trennen. Mit anderen Worten, die Strategie ist umso erfolgreicher, je besser man einschätzen kann, ob ein Preis teuer oder billig ist, immer im Vergleich zu anderen Preise für das gleiche Gut. Woher weiß man, was teuer und was billig ist? Ganz einfach: Indem man andere Auktionen beobachtet.
Bisher ging das nicht, weil es nur zwei gleiche Auktionen gab. Handelt es sich aber um ein Gut, das häufig angeboten wird, dann lohnt es sich, zunächst einige Auktionen zu beobachten und dann aufgrund der dort erzielten Preise ein Limit zu wählen, das die teuren von den billigen Auktionen trennt. Auf diese Weise kann man erreichen, dass man nur bei einer Auktion mit einem niedrigen Preis zum Zug kommt. Ob einem diese Ersparnis die Arbeitszeit und die Wartezeit (also die Transaktionskosten) wert ist, ist natürlich noch eine weitere Frage, die jeder für sich beantworten muss.
Vernachlässigen wir aber einmal die Transaktionskosten, dann sehen wir, dass nun bei häufig angebotenen Gütern auf einmal nicht mehr die Höhe der eigenen Wertschätzung für das Gebot in der Auktion verantwortlich ist, sondern der „übliche“ Preis – also der Marktpreis. Auf einmal ist für das eigene Gebot gar nicht mehr wichtig, wie gern wir das Gut eigentlich haben wollen, sondern nur noch die eigene Marktkenntnis. Verblüffend, oder?
Ach ja: Wenn Ihnen solche Analysen gefallen und Sie weitere Erkenntnisse der Spieltheorie lesen möchten, dann kaufen Sie sich das Buch Coopetition. Dort wird die Spieltheorie auf sehr interessante Weise auf das Geschäftsleben angewendet.