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Version vom 24.03.2010
Erstversion vom 24.03.2010
Wieso es falsch ist, Französisch zu lernen
Fremdsprachen, darüber sind sich Bildungspolitiker aller Parteien einig, sind die Grundlage einer soliden Allgemeinbildung und helfen im Berufsleben. Ich bezweifle es.
Eigentlich liegt es auf der Hand: Wer mehr weiß, hat einen Vorteil vor denen, die weniger wissen. Folglich kann es ja gar nicht schädlich sein, etwas zu lernen, insbesondere kann also es nicht schädlich sein, eine weitere Sprache zu lernen. Klingt als abstrakte Argumentation überzeugend, aber wenden wir es auf ein konkretes Beispiel an, um das Argument zu überprüfen:
Sie arbeiten in einem Unternehmen, das gerade mit einer Firma aus Frankreich ins Geschäft kommt. Fall 1: Sie können noch recht leidlich Französisch aus der Schule und durch einen längeren Auslandsaufenthalt in Frankreich. Fall 2: Sie haben nie Französisch gelernt und kommen über „merci“ nicht hinaus. In welchem Fall sind Sie in der besseren Position?
Denken wir Fall 1 weiter: Sie machen selbstverständlich das freundliche Angebot, mit Ihren Geschäftspartnern Französisch zu sprechen und meistern das auch recht gut. Ihre Geschäftspartner sind erfreut und nehmend das Angebot gern an. Da hat sich das Lernen doch gelohnt, nicht wahr? Aber sind Sie sicher, dass Sie alle Kosten dieser Vorgehensweise einbezogen haben? Denken Sie bitte an folgende Punkte:
- Sie verhandeln in einer anderen Sprache, die anderen verhandeln in ihrer Muttersprache. Wen wird das mehr anstrengen? Wer wird sich länger konzentrieren können?
- Sind sie sicher, dass Sie alle Details mitbekommen oder könnte es sein, dass Ihnen der eine oder andere Punkt entgeht, den Sie später bereuen, dann aber nur noch schwer beseitigen können?
- Wenn Sie eine Klausel formulieren möchten, können Sie sie dann selbst einfügen oder brauchen Sie die Hilfe der anderen Verhandlungsseite? Werden die die Klausel in Ihrem Sinne formulieren?
- Sie kommen mit einem Vertragsentwurf in französischer Sprache nach Hause. Können Ihre Kollegen das verstehen und Sie sinnvoll beraten und Fallen suchen?
Es ist immer strategisch ungünstig, sich mit anderen auf einem Feld zu messen, auf dem sie besser sind als man selbst. Folglich ist es einer der größte Fehler, mit jemand anders in dessen Muttersprache zu verhandeln, wenn es nicht gleichzeitig die eigene ist.
Wie können Sie sich am besten dagegen wehren, dass Ihnen genau das passiert? Natürlich indem Sie die Sprache gar nicht erst sprechen. Damit sind wir bei der Analyse des Falls 2:
Fall 2: Kein Wort Französisch zu sprechen ist die beste Form der Selbstbindung. Denn egal wie viel Sie be- oder gedrängt, bestochen oder umworben werden: Sie können gar nicht weich werden und den strategischen Nachteil in Kauf nehmen, sich auf die Muttersprache der anderen Verhandlungsseite einzulassen. Statt dessen müssen jetzt die anderen in einer Sprache radebrechen, die vermutlich wir besser können. Im Idealfall wird das Deutsch sein, ist es aber im Einzelfall meist nicht. Wieso nicht? Weil Franzosen klug genug sind, gar nicht erst Deutsch zu lernen. Trotzdem haben wir jetzt einen Vorteil, denn die internationale Sprache ist Englisch, also eine germanische Sprache, wogegen Französisch eine romanische ist. Deshalb lernen wir Englisch leichter als ein französischer Muttersprachler. Und schon müssen die anderen mit uns dort verhandeln, wo wir besser sind. Diesen wundervollen strategischen Vorteil erlangen wir, indem wir nicht Französisch lernen. Toll, oder?
Selbstverständlich ist die Analyse hier noch nicht zu Ende. Denn auch das Nicht-Sprechen muss irgendwelche Kosten haben. Zum Beispiel diese:
- Sie haben gar keine gemeinsame Sprache mit den Franzosen. Daher suchen sich die anderen (und Sie) andere Geschäftspartner. Im Extremfall ist gar kein Vertrag schlimmer als ein schlechter. Allerdings sollten Sie das nicht überbewerten, denn das Geschäft ist für die andere Seite auch lohnend, sonst würden sie es ja nicht abschließen wollen. Folglich werden die anderen auch Energie darauf verwenden, sich mit Ihnen verständigen zu können.
- Jemand anders in Ihrer Firma kann Französisch und übertrumpft Sie intern. Der kommt dann zwar mit einem schlechteren Vertrag nach Hause als Sie es getan hätten, setzt sich aber anfangs gegen Sie durch, weil seine Sprachkenntnisse ein Vorteil zu sein scheinen.
Sollte man denn gar keine Fremdsprache lernen?
Behalten wir die beiden letzten Punkte kurz im Hinterkopf und fragen uns, ob es generell von Vorteil ist, keine Fremdsprache zu sprechen. Sie sehen hier, zwei Fälle, in denen es lohnend wird, eine Fremdsprache zu lernen: 1. Wenn viele auf Ihrer eigenen Seite die Fremdsprache nicht oder schlechter sprechen als Sie und 2. wenn viele potentielle Verhandlungspartner die Sprache gut sprechen; idealerweise, wenn es auch für diejenigen eine Fremdsprache ist. Merken Sie, welche Sprache es sich also zu lernen lohnt?
Richtig: Früher war das Latein. Mit Latein konnten Sie sich weltweit verständigen, Sie waren gebildet im Gegensatz zu Ihren Landsleuten und für fast alle anderen war Latein auch eher eine Fremdsprache als eine alltägliche Muttersprache. Heute hat diese Rolle Englisch eingenommen.
Natürlich hat Englisch die Eigenschaft, die Muttersprache von nicht wenigen Menschen zu sein und scheint damit in dieser Beziehung den gleichen Nachteil zu haben wie Französisch. Das stimmt bei Englisch aber nicht ganz. Denn in der Regel verhandeln Sie auf Englisch gar nicht mit englischen (oder amerikanischen) Muttersprachlern allein, sondern es gibt in der Verhandlung meist auch andere Nicht-Muttersprachler aus anderen Ländern. Denen gegenüber haben die Amerikaner und Engländer ein wesentliches Handicap: Sie werden schlechter verstanden als die anderen Nicht-Muttersprachler. Außerdem setzt eine Art Verbündungseffekt der anderen ein. Das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn die eigene Muttersprache zur internationalen Sprache wird.
Das ganze läuft auf eine ganz klare Strategie hinaus: Konzentrieren Sie Ihre begrenzten eigenen Lernressourcen auf Englisch und vergessen Sie einfach alle anderen Fremdsprachen – die schaden in der Regel nur. Dazu gehören übrigens auch Spanisch und Chinesisch.
Wie war doch noch einmal die Argumentation?
- Es ist ungünstig, mit einem Muttersprachler in dessen Muttersprache zu verhandeln.
- Deshalb zwingt man ihn am besten zu einer anderen Sprache; das geht am besten, indem man seine Sprache nicht spricht.
- Sofern diejenigen überhaupt ein Interesse an der Verhandlung haben, werden sie also eine Sprache lernen, die für sich die internationale Kommunikation eignet.
- Da dafür am ehesten eine Sprache mit möglichst großer Verbreitung in Frage kommt, ist der natürliche Kandidat dafür heutzutage Englisch. Das ist unabhängig davon, ob der andere Chinesisch, Französisch oder Holländisch als Muttersprache spricht.
- Um auf bei dieser Kommunikation im Vorteil zu sein, sollte man die Energie, die man zum Lernen übrig hat, auf Englisch verwenden, nicht auf Sprachen mit nationalem Charakter. Damit setzt man sich gleichzeitig gegen Konkurrenten aus dem eigenen Sprachraum durch und hat in der internationalen Verhandlung einen Vorteil.
- Englisch sinnvoll zu beherrschen heißt nicht, es akzentfrei zu sprechen. Im Gegenteil, gerade der Akzent verschafft Ihnen eine Vorteil in internationalen Verhandlungen gegenüber den englischen Muttersprachlern, weil sie von anderen Nicht-Muttersprachlern besser akzeptiert und verstanden werden.
Erstaunlich oder? Ich weiß, dass meine Internetseite oft von LehrerInnen gelesen wird, allerdings eher von Mathematik- als von FranzösischlehrerInnen. Ich bin sicher, Sie können die nächste Konferenz ein wenig auflockern, wenn Sie diese Argumentation vortragen oder Ihre Kollegen einmal auf diese Seite schicken und ihnen mein Spieltheorie-Buch empfehlen (auch wenn das zugegebenermaßen deutlich trockener ist als meine schönen Analysen hier).
Interessante und sinnige Argumentation, ich persönlich setze das Ganze aber eher auf die freizeitliche Ebene. Ich reise gerne und es ist schön wenn man in Paris in einem Café sitzt und auf Französisch bestellen oder sich unterhalten kann.
Ich habe Ihre Ausführungen mit großem Interesse gelesen und dabei immerzu gedacht: „Hei-ne-rich, mir graut vor dir,“ wobei der Heinrich für die Spieltheorie steht. Das Englisch, das als lingua franca gesprochen wird, hat mit dem eigentlichen Englisch, vor allem vom Klang her, herzlich wenig zu tun, wie Sie ja auch anmerken. Ob das von Vorteil ist, wage ich zu bezweifeln. Und: Bei der ersten Kontaktaufnahme mit einem (Geschäfts-)Partner spielen (ja, SPIELEN) auch kleine Gesten eine Rolle, unter anderem die Erleichterung des Einstiegs dadurch, dass man zumindest die Anfangsgründe seiner Sprache beherrscht (NICHT zu verwechseln mit dem Macho-Gehabe von „Ich kann etwas, was du nicht kannst“). – Ich fass‘ es mal zusammen in der Formel der Bordeau-Chesnel-Reklame (das ist ein Brotaufstrich): „Nous n’avons pas les mêmes valeurs.“
Sehr geehrter Herr Rieck,
auch wenn das Beispiel recht verständlich argumentativ beschrieben wird, sehe ich einen Fehler in der Argumentationskette.
So schließt die Fähigkeit Französisch zu sprechen doch nicht sofort einen Vertragsabschluss auf französisch ein. Vielmehr wäre dies doch äußerst hilfreich, um Diskussionen und die Mimik der französischen Geschäftspartner zu verstehen. So kenne ich beispielsweise einen Patentanwalt, der aufgrund seiner perfekten Beherrschung von japanisch einen großen Vorteil hat, wenn es darum geht den Geschäftspartner „live“ einzuschätzen.
Stimmt, wenn man es tatsächlich schafft, Französisch zu sprechen, die Verhandlungspartner das aber nicht wissen lässt, dann ist das sicherlich noch besser. Aber ich würde das weder schaffen noch empfehlen, weil ich das als eine Art der Irreführung der Verhandlungspartner einstufen würde.
Ein anderes interessantes Argument für meine Position liefern Sie aber auch: Die Mimik kann man sicherlich besser lesen, wenn man die Sprache nicht spricht, weil man nicht durch inhaltliche Tricks abgelenkt werden kann.