Version vom 09.12.2011
Erstversion vom 09.12.2011

Privatgläubigerbeteiligung beim Staatsbankrott

Bundeskanzlerin Merkel wollte eigentlich durchsetzen, dass sich private Gläubiger an den Folgen einer Staatspleite beteiligen müssen. Aber daraus wurde nichts. Vielleicht liegt das daran, dass sich kaum jemand richtig vorstellen kann, was die Privatgläubigerbeteiligung genau sein soll, ob sie wichtig ist und auf welcher Seite man stehen sollte. Das ist schade, denn es handelt sich um einen ziemlich wichtigen Punkt. Die Sachlage ist diese:

Wenn ein Staat pleite geht, dann heißt das, dass irgendwer sein Geld nicht mehr wiedersieht, das er verliehen hat. Weil das eine unangenehme Sache ist, passen alle gut auf, dass ihnen das möglichst nicht passiert. Weil jeder gut aufpasst, zeichnet sich eine drohende Pleite schon lange ab, indem die Geldgeber rechtzeitig vor der eigentlichen Pleite beginnen, immer höhere Zinsen als Entschädigung für das festgestellte Risiko zu verlangen. Dieses Verhalten hat mehrere höchst wünschenswerte Konsequenzen:

  1. Es zeigt den Staaten, wann sie die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreichen und lieber aufhören sollten, weitere Kredite aufzunehmen. Dieses Signal kommt nicht plötzlich und unerwartet, sondern zeichnet sich langsam ab, sodass man sinnvoll darauf reagieren kann.
  2. Man braucht keine neue Behörde einzurichten, man braucht keine Ratingagentur und keine komplizierten Vorschriften, sondern man kann sich darauf verlassen, dass jeder Gläubiger so gut aufpasst und sich so gut informiert, wie es geht – ganz einfach, weil er mit seinem eigenen Geld drinsteckt.
  3. Wenn es dennoch zu einer Pleite kommen sollte, dann können sich die Gläubiger nicht darauf berufen, „nix gewusst“ zu haben. Denn die hohen Zinsen sind für jeden sichtbar. Deshalb gibt es dann auch keine moralische Begründung, weshalb jemand anders für die eigene Spekulation aufkommen sollte – zumal man dann ja vorher durch die hohen Zinsen auch schon dafür entschädigt wurde.

Mit anderen Worten: Dass man sein Geld verlieren kann, wenn man es verleiht, ist kein Fehler im System, sondern eine wichtige Eigenschaft des Kreditgeschäfts. Das Interesse der Sparer und Anleger, Verluste zu vermeiden, diszipliniert alle Beteiligten: Es hält die vielgegeißelte Gier der Anleger in Zaum und gibt den Schuldnern rechtzeitig klare Zeichen. Es war eine der wesentlichen Ursachen für die „Finanzkrise“, dass an vielen Stellen dieser Zusammenhang aus politischen Gründen unterbrochen wurde.

Um die Ursachen der Krise zu beseitigen ist es also unerlässlich, dass Anleger ihr Geld verlieren können. Genau das steckt dahinter, wenn Frau Merkel die Privatgläubigerbeteiligung fordert. Sie fordert damit, dass derjenige bitteschön selber bezahlen soll, der ein Risiko eingeht, was anschließend schief geht.

Gleichzeitig haben wir natürlich alle Angst vor dem „systemischen Risiko“, dass die Pleite eines Staates eine Bank mit in die Tiefe reißt und dann dominoartig das ganze Finanzsystem gleich mit. Um das zu verhindern, richten wir alle möglichen Rettungsschirme ein. Ich möchte hier nicht die Sinnhaftigkeit der Rettungsschirme diskutieren (sehen dafür Sie lieber in mein neues Buch Rettung vor dem Euro), aber ich möchte auf eine Wirkung hinweisen: Wenn ein Rettungsschirm für die Verluste der privaten Gläubiger in vollem Umfang eintritt, dann schafft er damit deren Kontrollfunktion ab – und begeht damit exakt den Fehler erneut, der überhaupt erst zur Krise geführt hat. Dass die Privatgläubiger in Zukunft nicht für Staatspleiten haften sollen, ist daher eine ziemliche Katastrophe.

Dabei gäbe es einen einfachen Weg, beides auf einmal zu erreichen, die Kontrollfunktion der Anleger und den Schutz vor einem Dominoeffekt: Der Rettungsschirm darf nicht die ersten Verluste übernehmen, sondern nur die großen Verluste, die über ein bedrohliches Maß hinausgehen. Wir müssten den Rettungsschirm also aufbauen wie eine Kaskoversicherung mit Selbstbeteiligung. Die Möglichkeit für Verluste sorgen dann dafür, dass die Investoren gut aufpassen, wem sie ihr Geld leihen; und die Absicherung großer Schadensfälle sorgt dafür, das Gesamtsystem zu stabilisieren. Es ist kein Zufall, dass Versicherungsverträge genau so konstruiert sind. Eigentlich recht einfach, oder?

Bleibt nur noch die Frage, wieso das die wichtigen Herren am Verhandlungstisch nicht einsehen wollen. Dafür hilft es nachzusehen, wem denn die Regelung ohne Privatgläubigerbeteilung nützt. Das sind zwei Gruppen: Erstens die Banken, die schon viel Geld an zweifelhafte Kandidaten verliehen haben; und zweitens Politiker, die sich gern billig weiter verschulden wollen. Also diejenigen, die gerade die Regelungen verhandelt haben.

 

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