Thomas Schelling’s Ideen

Thomas Schelling erhielt (gemeinsam mit Robert Aumann) den Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften im Jahr 2005. Was sind seine Beiträge?
Es sind im Wesentlichen zwei Bereiche, durch die sich Schelling hervorgetan hat:

Koordinationsspiele, auch im Populationszusammenhang

Gemeinsames Wissen

Die Rolle von Drohungen und Versprechen in Verhandlungen

Was sind Koordinationsspiele?

Ein besonderer Fall der Schelling-Koordination: Prominenz

Der Unterschied zwischen potentiell spieltheoretischen und nichtspieltheoretischen Erklärungen lässt sich gut an dem Beispiel der Prominenz zeigen.

Betrachten wir das folgende Koordinationsspiel: Zwei Spieler müssen aus einer Gruppe von Zahlen unabhängig voneinander jeweils eine auswählen; ist es dieselbe Zahl, dann erhalten sie je 100 EUR, andernfalls nichts. Welche der folgenden Zahlen würden Sie bei diesem Spiel aussuchen?

-10, 1, 2, 3, 4, 5

Ich würde die -10 nehmen, weil sie gegenüber den anderen Zahlen auffällt. Es handelt sich hierbei um einen Prominenzpunkt oder Fokuspunkt (focal point), der – wie Experimente gezeigt haben – von realen Spielern tatsächlich deutlich bevorzugt wird.

Gibt es auch unter den folgenden Daten ein prominentes?

Mo.,9.6.97; Di.,10.6.97; Mi.,11.6.97; Do.,12.6.97; Fr.,13.6.97

Natürlich: Freitag der Dreizehnte fällt auf – aber aus anderen Gründen als in dem vorherigen Beispiel. Dass ein Freitag der Dreizehnte auffällt, ist eine Konvention und kann nicht aus dem Spiel selbst erschlossen werden. In einer anderen Kultur hätte die Reihe der genannten Daten vielleicht keinen auffälligen Wert; in der ersten Zahlenreihe dagegen hat die -10 immer einen größeren Abstand zu den anderen Zahlen als diese untereinander. Dies ist ein Merkmal, das sich direkt aus den Regeln des Spiels ergibt und wofür kein Vorwissen über die anderen Spieler notwendig ist; daher kann ein derartiges Merkmal prinzipiell zur Bestimmung einer spieltheoretischen Lösung verwendet werden. Eine Konvention wie der Freitag der Dreizehnte mag dagegen zwar im Einzelfall ebenfalls ein Spiel lösen, aber sie könnte nicht zur Grundlage eines allgemeinen spieltheoretischen Lösungskonzepts gemacht werden, weil sie von außerhalb des Spiels vorgegeben ist.

Vielleicht werden Sie sagen, dass -10 ebenfalls nur aufgrund einer Konvention auffällt, denn natürlich setzen wir voraus, dass allen Spielern die Bedeutung der Zahlen bekannt ist.  Dieses Gegenargument betrifft aber nur die spezielle Repräsentation der Zahlen: im alten Rom hätte man die Zahlenreihe möglicherweise „-X, I, II, III, IIII, V“ geschrieben (und weil damals noch keine negativen Zahlen verwendet wurden, hätte man die Folge einfach durch Addition von +11 transformieren können); die Angehörigen eines Eingeborenenstammes, die keine Zahlen kennen, hätten vielleicht kleine Häufchen von Kieselsteinen gebildet – eines jedenfalls bleibt immer gleich: der Abstand zwischen den Zahlen ist unterschiedlich groß. Um das zu erkennen, bedarf es keines Vorwissens über Konventionen und keiner Psychologie. Es ist lediglich das Konzept der natürlichen Zahlen notwendig, was mir ein sehr elementares Konzept zu sein scheint, das daher von jeder hinreichend intelligenten Lebensform selbst entwickelt werden könnte, also insbesondere von „rationalen“ Spielern, von denen wir ja voraussetzen, dass sie unbeschränkte Intelligenzfähigkeiten besitzen.

Sehen wir uns ein anderes interessantes Beispiel für Prominenz an. Welche der folgenden Zahlen empfinden Sie als prominent?

7, 13, 99, 100, 222, 273

Auf den ersten  Blick ist hier jede der Zahlen aufgrund irgend einer spielexogenen Übereinkunft prominent (7 gilt meist als „Glückszahl“, 13 als „Pechzahl“, 99 und 222 sind „Schnapszahlen“, 100 ist eine „glatte“ Zahl); nur die 273 ist eine „normale“ Zahl – und daher prominent in dieser Umgebung.

Dass die Zahlen 99, 100 und 222 als prominent angesehen werden, liegt an der zufälligen Konvention, dass wir zur Notation von Zahlen das Dezimalsystem verwenden; in einem Oktalsystem etwa würden sie ihre Prominenz verlieren.

Natürlich helfen Fokuspunkte nicht in jedem Spiel, eine Lösung auszuwählen: Oft gibt es überhaupt keinen Fokuspunkt oder sehr viele. – Man könnte es als einen Sonderfall eines Fokuspunktes ansehen, wenn die Spieler vor dem Spiel kommunizieren können. Bei vielen Spielen – zum Beispiel bei Koordinationsspielen – wäre es dann möglich, sich auf eine zu spielende Strategienkombination zu einigen, die dadurch im nachfolgenden, eigentlichen Spiel ein Fokuspunkt wäre. Allerdings hätte dies nur insofern Einfluss auf die Lösung, als es bei der Auswahl aus mehreren Nash-Gleichgewichten hilft; neue Gleichgewichte entstehen dadurch nicht.

Viele der hier angesprochenen Ideen werden bei Schelling 1960 behandelt. Dort finden sich auch zahlreiche weitere Überlegungen und Beispiele zu Koordinationsspielen. Ein weiterer Klassiker zu diesem Thema ist Lewis 1969.

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