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Version vom 20.09.2006;
Erstversion vom 31.03.2006
Was ist Spieltheorie?
Im Spiel versucht jeder, schlauer zu sein als die anderen. Die Spieltheorie untersucht, was herauskommt, wenn das alle versuchen. Und sie behandelt die ganze Welt so, als wäre sie ein großes Spiel.
Woher kommen die Spiele?
Damit ein Spiel ein Spiel ist, braucht es erst einmal Regeln. Diese Regeln sagen, was jeder einzelne Spieler tun kann und was nicht. Sie sagen auch, was jeder Spieler weiß und was nicht und was er mag und was nicht. Zum Beispiel sagen die Regeln beim Schach, wie sich die Figuren bewegen können, dass man sie alle immer alle sehen kann und dass beide Spieler es nicht mögen, wenn ihr König matt gesetzt wird.
Beim Schach ist es einfach zu sehen, woher die Regeln kommen: Sie wurden einfach festgelegt. Aber wie steht es mit der echten Welt als Spiel? Auch hier gibt es bestimmte Regeln, die einfach festgelegt sind, zum Beispiel die Naturgesetze, die wir einfach staunend akzeptieren müssen. Aber die Spieltheorie beschäftigt sich sehr oft mit sozialwissenschaftlichen Sachverhalten, und da ist es schwerer zu sehen, woher die Regeln kommen. Denn sie entstehen hier in einem Prozess der Modellierung.
So, wie ein Künstler ein Objekt aus Ton modelliert, so modelliert der Spieltheoretiker ein Spiel aus Regeln. Das ist durchaus ein künstlerischer Prozess, denn es steht keineswegs von vornherein fest, wie das Kunstwerk beziehungsweise das Spiel am Ende auszusehen hat. Es kann mal naturalistisch sein, mal eher abstrakt, mal detailreich und mal eher skizzenhaft. Wie jede Schaffung eines Kunstwerks ist dies ein hoch kreativer und hoch subjektiver Prozess, der ganz stark von der Persönlichkeit des Künstlers geprägt wird. So, wie berühmte Maler bestimmte Sehweisen erst einmal geprägt und damit ermöglicht haben, so wie Fotografen eine Bildsprache entwickeln, mit der sie ihre Sicht der Welt schaffen, so entwickeln die Spieltheoretiker eine Sprache der Spiele und damit neue Sichtweisen auf die Welt.
Dieser Zusammenhang wird meist übersehen, weil die spieltheoretischen Modelle sehr oft in der Sprache der mathematischen Modelltheorie verfasst sind. Wegen der Genauigkeit der mathematischen Logik vergisst man leicht, dass die Modellierung selbst überhaupt keine exakte Wissenschaft ist, sondern eben viel eher eine Kunst.
Wie können Spiele ausgehen?
Wie geht es dann weiter? Die Spieltheorie untersucht, was alles passieren kann, wenn vernunftbegabte Spieler das Spiel spielen und dabei versuchen, sich gegenseitig auszutricksen. Nicht, dass das Austricksen ein Selbstzweck wäre, aber meist sind die Interessen der Spieler etwas unterschiedlich, und daher versucht jeder es so hinzubekommen, dass er selbst möglichst gut dasteht. Natürlich unter Berücksichtung der Tatsache, dass die anderen das gleiche vorhaben. Wie kann so etwas ausgehen?
Stellen Sie sich vor, Sie spielen Fangen (Kinder tun so etwas des öfteren) und versuchen gerade, Ihre Mitspielerin zu fangen. Das wäre ganz einfach, wenn sie stehen bliebe. Da sie aber nicht gefangen werden will (Ihre Interessen sind hier ganz klar unterschiedlich) läuft sie weg und macht es Ihnen damit schwer, Ihr Ziel zu erreichen. Wenn Sie immer nur direkt auf sie zu laufen und dabei so tun als würde sie wie angewurzelt stehen bleiben, ist das sicherlich keine sehr kluge Strategie. Denn Sie wissen: Es ist nicht in dem Interesse Ihrer Gegenspielerin stehen zu bleiben. Daher glauben Sie nicht daran, dass sie es tun wird, passen Ihre Strategie entsprechend an und versuchen, ihr den Weg abzuschneiden, indem Sie an ihr vorbei zielen.
Indem Sie das tun, müssten Sie sie in wenigen Schritten genau treffen. Statt dessen rennen Sie an ihr vorbei und greifen ins Leere. Verdutzt drehen Sie sich um stellen fest, dass sie doch stehen geblieben ist. Sie haben nicht weit genug gedacht. Sie sind nur von sich ausgegangen und haben nicht bedacht, dass Ihre Gegenspielerin auch denken kann. Sie aber hat gedacht, dass Sie denken, dass sie flüchten wird und deshalb an ihr vorbei zielen. Deshalb ist sie stehen geblieben. Tja.
Aber immerhin haben Sie eine wesentliche Erkenntnis der Spieltheorie herausgefunden: Jeder muss die Situation aus der Sicht aller Spieler betrachten, und zwar gleichzeitig. Solange irgendein Spieler sich verbessern kann, wenn er etwas anderes macht, als die anderen denken, das er macht, wird er es anders machen. Deshalb dürfen die anderen dann gar nicht denken, dass er es macht. Klar, oder?
Was wir uns oben angesehen haben, ist ein Spielausgang, der sich aus sich selbst heraus zerstört. Sie haben geglaubt, es sei eine „Lösung“ des Spiels, einfach immer an der Mitspielerin vorbeizurennen, um sie zu fangen, weil sie vor Ihnen weglaufen wird. Dieser Glaube zerstört sich aber aus sich selbst heraus, weil Ihre Gegenspielerin umso sicherer stehen bleiben wird, je sicherer Sie an Ihre Lösung glauben.
John Nash’s geniale Idee
Jetzt ist es aber sehr einfach zu sagen, was eine Lösung ist: Es kann nur ein Spielausgang sein, der sich nicht aus sich selbst heraus zerstört, sondern der stabil ist. Jeder Spieler muss wissen, dass er sich nicht verbessern kann, wenn er sich entsprechend der Lösung verhält. Dann, wenn das für alle Spieler gilt, haben wir es mit einer Lösung zu tun. So einfach ist das.
Wenn Sie diese Idee etwa 1950 gehabt und kurz darauf mit ein wenig mathematischem Voodoo publiziert hätten, dann hätten Sie 1994 den Nobelpreis dafür bekommen – so jedenfalls erging es John Nash, von dem diese Idee stammt. Deshalb wird diese Art der Lösung eines Spiels auch Nash-Gleichgewicht genannt. So einfach das Prinzip ist (schließlich handeln schon Kinder beim Fangenspiel danach), so genial ist es auch. Und so tiefgreifend. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Menschheit einigermaßen verstanden hat, was an dieser Idee dranhängt, und die Diskussion darum ist auch noch lange nicht zu Ende.
Wenn Sie ein wenig auf meinen Internetseiten herumstöbern, dann werden Sie einige der Diskussionen dazu finden. Damit es nicht ganz so langweilig wird, verpacke ich Vieles davon in Anwendungsbeispiele, bei denen ich die eine oder andere Situation der echten Welt als Spiel modelliert habe und dann beschreibe, was Lösungen dazu sein können (wobei Vieles davon nicht wirklich neu ist, sondern eine Darstellung bekannter Ergebnisse der Spieltheorie, die ich allerdings mit so wenig Mathematik wie möglich darstelle).
Und wie war jetzt die Lösung beim Fangen spielen?
Ich weiß, Sie sind noch nicht zufrieden. Sie fragen sich immer noch, was die Spieltheorie denn nun genau für die Kinder beim Fangen spielen vorschlägt. Sehen wir uns die Situation noch einmal an: Sie können auf Ihre Mitspielerin zulaufen oder an ihr vorbei. Sie kann stehen bleiben oder weglaufen. Und offenbar kann sie nicht erst abwarten und sehen, was Sie tun (denn dann ist es schon zu spät), sondern sie muss gleichzeitig wie Sie entscheiden. Merken Sie, was hier gerade passiert ist?
Ich habe das Fangenspiel stark vereinfacht dargestellt, sozusagen als Essenz des Spiels. Es stecken jede Menge Vereinfachungen darin: Neben stehen bleiben und weglaufen gibt es noch andere Varianten (in welche Richtung weglaufen? antäuschen? Richtungswechsel?). Auch die Vorstellung, dass keiner der beiden auf den anderen reagieren kann, ist sicherlich einfacher als beim echten Spiel auf der Wiese. Aber die Vereinfachung ist eine Modellierung des Spiels. Zugegebenermaßen eine abstrakte; aber eine mit wesentlichen Eigenschaften der echten Situation. Eine, die man verstehen kann. Genau das ist die Kunst der Modellierung: nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel.
Für unseren Erkenntniszweck reicht diese skizzenhafte Darstellung völlig aus. Für ein echtes Fangenspiel reicht es sicherlich nicht. Aber bei Bedarf kann es beliebig erweitert werden. Das wird zum Beispiel bei einer weniger angenehmen Variante dieses Spiels auch getan: Bei der Steuerung von Abfangraketen. Denn die machen auch nichts anderes als einen anderen Spieler zu fangen, und sei dieser eine computergesteuerte Rakete, die verhindern will, gefangen zu werden.
Bleiben wir aber bei dem angenehmeren Kinderspiel und skizzieren schnell ein Lösung dafür. Wie sieht denn dort ein Nash-Gleichgewicht aus? Wir wissen schon: Immer auf die Spielerin zulaufen kann nicht vernünftig sein, weil sie dann immer weglaufen wird. Immer daneben zielen ist aber auch nicht sinnvoll, weil sie dann immer stehen bleibt. Das gleiche gilt andersherum auch aus ihrer Sicht: immer stehen bleiben ist ebensowenig sinnvoll wie immer weglaufen. Was wir brauchen, ist etwas, das irgendwo in der Mitte zwischen „auf sie zulaufen“ und „vorbeirennen“ liegt. Mit anderen Worten, wir müssen manchmal das eine, manchmal das andere tun. Und das auf möglichst unvorhersehbare Weise. Also zufällig. Genau das ist die Lösung: zufällig mal das eine, mal das andere. Und schon haben wir das Konzept der gemischten Strategie.
Aber wie mischt man eigentlich zufällig? Und kann man das in der „echten Welt“ auch wirklich tun? Was, wenn einer der beiden so tut, als handele er zufällig, es aber gar nicht tut? Und was heißt eigentlich Zufall, wenn man das Spiel nur einmal spielt? Sehen Sie: Habe ich nicht gesagt, die Diskussion über das Nash-Gleichgewicht ist noch lange nicht vorbei?
Wollen Sie mehr über Spieltheorie wissen?
Dann sollten Sie mein Spieltheorie-Buch lesen. Dort erkläre ich auch die Mathematik, aber wenn Sie sie nicht interessiert, dann können Sie diese Erklärungen auch weglassen. Bei 360 Seiten bleibt noch genug zu lesen übrig.
„Der wahre Egoist kooperiert!“ – also die Aussage, dass man, wenn man sich im „Gefangenen-“ oder im „Urlauberdilemma“ benfidet, das beste Ergebnis ffcr sich ausschliedflich dann erreichen kann, wenn man kooperiert. Was ne Neuheit und wirklich beeindruckend!Wie lange muss man sich wohl mit dem Spiel auseinander setzen bis man merkt das die Spalte Kooperieren die ist mit den niedrigeren Zahlen?
Auf mich wirkt dieser Kommentar wie von einer noch nicht ganz ausgereiften künstlichen Intelligenz. Wieviel Prozent dieser Seite beschäftigen sich doch gleich mit dem Gefangenendilemma?