Version vom 08.02.2008, Kleinkorrekturen 31.08.15
Erstversion vom Februar 2006

Kostenfunktion und Betriebsgrößenersparnis

Wieso Monopole billiger sein können

Haben Sie schon einmal bei Aldi oder Lidl gekauft, weil es dort billiger ist als im Tante-Emma-Laden? Dann kennen Sie das Argument für die niedrigen Preise: „Bei den Mengen, die die abnehmen, wird’s eben billiger.“ 

Sie kennen dasselbe Argument auch von Elektronik-Geräten: Im Laufe der Zeit werden sie billiger, „weil die Stückzahlen steigen“. (Interessanterweise bin ich sicher, dass hier mindestens ein weiterer Effekt dahinter steht, aber lassen wir das mal beiseite.)Behalten Sie diese Argumente bitte einmal kurz im Hinterkopf und folgen Sie mir in die Analyse von Monopolen aus dem ersten Semester Betriebswirtschaft. Dort wird ein großes Kreuz in ein Koordinatensystem gemalt und ein Teil davon als „Wohlfahrtsgewinn“ durch den Markt markiert. Dieser schöne Wohlfahrtsgewinn, so lernt man, gilt bei „vollständiger Konkurrenz“, also bei vielen kleinen Anbietern und Nachfragern.

In der nächsten Vorlesung  kommt das böse Monopol. Nach einigen Rechnungen (die die Studenten üblicherweise hassen) wird aus dem Wohlfahrtsgewinn ein Dreieck herausgestrichen und voilà: Wir haben bewiesen, dass ein Monopol die gesamte Wohlfahrt auf dem Markt verringert.

Wegen dieser Vorlesung erreichen mich nun zahllose Mails, die mich schelten, weil ich behaupte, an Monopolen könne auch etwas Gutes sein. Und immer wieder kommt die Frage, wie ich denn, bitte schön, Betriebswirtschaft studiert haben könne, wenn ich noch nicht einmal diesen elementaren Sachverhalt aus dem ersten Semester kenne.

Nun, ich kenne ihn. Aber die meisten Studenten waren offenbar so sehr darin verstrickt, den Formeln und komplexen Grafiken zu folgen, dass sie vergessen haben, worauf die Analyse eigentlich aufbaut. Beim Heraussäbeln des Dreiecks aus dem Wohlfahrtsgewinn gibt es nämlich die Behauptung (genannt „Annahme“), dass das Monopol und die vielen kleinen Anbieter das Gut zu denselben Kosten herstellen können. (Lassen wir hier die Probleme der fixen und variablen Kosten, Grenz-, Durchschnitts- und Gesamtkosten usw. einmal beiseite, damit wir uns nicht auch noch in Formeln verfangen).

Was nun aber, wenn man beim Überschreiten einer bestimmten Betriebsgröße eine andere Technologie verwenden kann? Was, wenn die vielen Kleinen alles mühsam mit der Hand machen müssen, ein Großer aber auf eine vollautomatische, industrielle Fertigung umsteigen kann? Könnte es nicht sein, dass sich dann die Herstellungskosten dramatisch ändern? Wir alle wissen: Natürlich kann das so sein, und natürlich ist es in vielen Bereichen auch so. Bei Aldi und bei Elektronikgeräten akzeptieren wir diesen Sachverhalt ja auch völlig selbstverständlich im Alltag.

Bleiben wir aber im ersten Semester BWL und fragen nach den Konsequenzen für unseren Wohlfahrtsgewinn: Der Monopolist kann jetzt aufgrund einer anderen Technologie jede angebotene Menge sehr viel billiger produzieren als die vielen kleinen Anbieter. Er verhalte sich aber weiterhin so, wie im ersten Semester üblich, nämlich als Gewinnmaximierer. Dann macht er einen tollen Gewinn – und die Konsumenten sind trotzdem glücklich, dass es ihn gibt. Denn trotz seines Gewinns bekommen sie nun das Produkt billiger als vorher, als die vielen Kleinen die alte Technologie verwendet haben. Und das ganz ohne Konkurrenz.

Ich weiß, es regt sich in Ihnen Widerspruch. „Es kann doch nicht sein,“ werden Sie sagen „dass seit Jahren in BWL eine offensichtlich falsche Theorie gelehrt wird“. Natürlich nicht; denn das meiste von dem, was ich hier sage, ist überhaupt nicht unbekannt, sondern kommt erst im fünften Semester. Die  Theorie des ersten Semesters ist auch nicht falsch, sondern sie baut auf ganz bestimmten Voraussetzungen auf. Und diese Voraussetzungen treffen eben nicht auf jeden Markt zu. Zum Beispiel nicht auf den Software-Markt, nicht auf den Medien-Markt und nicht auf die industrielle Produktion technisch anspruchsvoller Produkte. Es ist eine Analyse klassischer Märkte wie Landwirtschaft, Handwerk, einfache Industrieproduktion, Rohstoffe und Dienstleistungen.

Also: Man sollte nicht nur die Analyse des ersten Semesters einbeziehen, sondern auch die des fünften hinzunehmen.

Natürlich bleiben dann immer noch genug interessante Fragen offen. Zum Beispiel was passiert, wenn der Monopolist zwar billiger produzieren kann, aber nicht so viel billiger, dass es bei seiner Gewinnmaximierung immer noch für niedrigere Preise auf dem Markt reicht. Und ob er überhaupt seinen gewinnmaximalen Preis setzen kann, ohne sein Monopol zu gefährden. Oder ob er überhaupt dauerhaft Monopolist bleiben kann, selbst wenn er abschreckend niedrige Preise nimmt. Und ob er im Zeitablauf immer denselben Preis verlangen will. Wie er sich vor sich selbst schützen kann. Ob er vor Konkurrenten Angst haben muss, die es noch gar nicht gibt. Ob die Möglichkeit der Monopolbildung Anreize schafft, Märkte überhaupt erst zu versorgen. Und so weiter.

Aber Eines muss klar sein: Dies sind die interessanten Fragen und Antworten der Wirtschaftswissenschaften. Und nicht ein Erstsemestermodell, das für die Landwirtschaft entwickelt wurde und nun ohne nachzudenken auf Software und High-Tech übertragen wird.

Das natürliche Monopol – ein Baum im Garten

Das Schlimme an der Spieltheorie ist, dass sie oft so trocken und abstrakt klingt, als hätte das alles gar nichts mit der echten Welt zu tun, in der wir leben. Lassen Sie mich deshalb denselben Sachverhalt von eben einmal an einem Vergleich beschreiben (der natürlich, wie jeder Vergleich, auch seine Schwächen hat, aber vielleicht kann ich damit dennoch das Eine oder Andere verständlich machen).

Beamen Sie sich dazu bitte gedanklich in einen etwas verwilderten Naturgarten, um dort ein wenig von der Hektik des Arbeitsalltags zu entspannen. Was Sie jetzt sehen könnten, wenn Sie dort wären, ist ein ungeordnetes, aber irgendwie harmonisches Nebeneinander der verschiedensten Pflanzen und Tiere, die alle zusammengenommen ein kleines Ökosystem bilden. Aber auch wenn der Garten so harmonisch wirkt, ist hier keineswegs alles friedlich: In langen Nahrungsketten frisst der eine den anderen, und wo ein Pflänzchen mal nicht schnell genug ist, da schiebt sich schon das nächste dran vorbei, um das Licht und damit die Nahrungsquelle abzuzweigen.

Jede Pflanze denkt sich neue Strategien aus, um die anderen zu überlisten, zu überdecken, um nicht gefressen zu werden, um zu überwintern, um die eigenen Samen zu verbreiten. Sie investieren in schöne aber teure Blüten, sie heften sich an das Fell von Tieren, sie produzieren früh im Jahr kleine Fallschirmchen für ihre Samen, sie brauen Gifte, brennende Oberflächen, Dornen, Bodenverankerungen. Es gibt fleischfressende Pflanzen und Vögel, die deren Fallen aufpicken, um an die gefangenen Insekten zu kommen. Kurzum: Hier herrscht Wettbewerb.

Genau das ist das Bild, das die ersten Theoretiker der Marktwirtschaft vor Augen hatten. Viele kleine Individuen, die alle um einen kleinen Vorsprung ringen, die zusammengenommen ein großes Bild ergeben, aber von denen jeder einzelne zu klein ist, um allein einen wesentlichen Einfluss auf das Gesamtbild zu haben. In diesem Zusammenspiel herrscht eine produktive Form der Konkurrenz, in der sich jeder der vielen kleinen etwas Neues einfallen lässt, und damit die Gesamtheit weiterbringt. Genau wie in unserem Garten, der eine Schönheit und Widerstandsfähigkeit entwickelt, die man nicht ohne weiteres hätte künstlich planen und anlegen können.

Aber manchmal kippt so ein System. Das passiert nicht ganz so leicht, ist aber oft die Folge von Störungen von außen, die zu groß sind, um ausgeglichen werden zu können. Wenn zum Beispiel eine Wiese abgeweidet und überdüngt wird, dann breitet sich irgendein Mitglied der Planzengemeinschaft zu sehr aus und verdrängt alles andere. Vielleicht kennen Sie die reinen Löwenzahn-Wiesen, in denen statt der vielen schönen Gräser und Blumen nur noch ganz wenige Pflanzenarten übrig geblieben sind, diese aber in rauen Mengen.

Nur einer ist übrig geblieben – das ist ein Monopol aus dem ersten Semester Betriebswirtschaft. Wir mögen es nicht, weil es die Vielfalt einschränkt und weil es die Teilnehmer schlechter versorgt. Das passiert, weil das Löwenzahn-Monopol keine andere „Technologie“ verwendet als die anderen Pflanzen, sondern einfach nur mehr des alten.

Es gibt aber auch eine andere Art von Monopol. Das taucht auf, wenn in der Mitte des Gartens ein kleines Pflänzchen beständig weiter wächst und irgendwann ein großer Baum daraus wird. Im Garten gibt es nur Platz für einen Baum – es ist ein „natürliches Monopol“. Gewiss nimmt der Baum den Pflanzen darunter das Licht weg; natürlich ist er – zumindest innerhalb des Gartens – keiner direkten Konkurrenz ausgesetzt. Aber freuen wir uns nicht trotzdem an ihm, weil er Dinge kann, die die vielen kleinen Pflanzen nicht konnten? Er fügt eine neue Qualität hinzu, eine, die die vielen kleinen Pflänzchen trotz ihrer Vielfalt nicht hervorbringen konnten. Jetzt nisten auch Vögel in unserem Garten, wir haben im Spätsommer Äpfel, bei Sonne haben wir Schatten und bei Regen bleiben wir trocken. Wir bauen uns ein Waldsofa aus den Ästen, die wir oben abschneiden, und genießen die Natur.

Doch dann kommt die EU-Kommission mit der Axt und zerhackt unseren einzigen Baum. Denn der Baum ist ja ein Monopol. Und wir sitzen wieder im Regen.

Kleiner Nachtrag: Am 07.02.08 hatte ich die Gelegenheit, mich mit dem ehemals obersten Wettbewerbshüter Europas, Mario Monti, über diesen Sachverhalt zu unterhalten – er kannte diese Argumente noch nicht einmal. Hätte er doch nur ein gutes Spieltheoriebuch gelesen – sagen wir mal Coopetition – Spieltheorie im Geschäftsleben. Für die europäischen Verbraucher wäre das eine Sternstunde.

Die Kosten der Mobilfunkbetreiber 

Ein kleiner Nachtrag aus der echten Welt: Die Mobilfunkbetreiber streiten sich derzeit (im Mai 2006) um die Höhe der „Zusammenschaltungsentgelte“, also die Gebühren, die sie sich gegenseitig berechnen, wenn Gespräche zwischen den Netzen geführt werden. Der Betreiber E-Plus erhält derzeit 12,4 Cent pro Minute, T-Mobile und Vodafone bekommen nur 11 Cent. In dieser Situation beklagt sich E-Plus, der Unterschied sei zu gering, und es müsse einen größeren Betrag mehr bekommen als die D-Netz-Betreiber.

Wie lautet die Begründung dafür, dass der eine Betreiber mehr bekommen soll als der andere? Das von E-Plus beauftragte Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) nennt uns die Antwort ebenso zutreffend wie vielsagend: Im Wesentlichen wegen der höheren Kundenzahlen im D-Netz liegen dort die Kosten für das Weiterleiten der Gespräche um 82% niedriger als bei E-Plus (diese Zahl ist kein Schreibfehler).

Bitte machen Sie sich klar, was das bedeutet: Weil im D-Netz mehr Kunden sind, deshalb sind dort die Kosten pro Gesprächsminute niedriger. Hätte das D-Netz noch mehr Kunden (zum Beispiel die von E-Plus, nachdem es aus dem Markt ausscheidet), dann wären die Kosten noch niedriger. Genau davon spreche ich, wenn ich auf die Vorteile von Monopolen hinweise.

Aber weil fast alle Menschen mit dem Wort „Wettbewerb“ etwas Positives verbinden, hat E-Plus in dieser Situation die Chuzpe, die Argumentation einfach umzudrehen und verlangt höhere Entgelte, weil es ja höhere Kosten habe und daher gleichhohe Gebühren für alle Netzbetreiber dem Wettbewerb schade. Ich frage Sie: Wollen Sie einen Wettbewerb, wenn dieser zu höheren Kosten führt?

Wir müssen einfach lernen: Wettbewerb ist kein Selbstzweck, sondern er soll gut für die Konsumenten sein – in den Fällen, in denen er jedoch höhere Kosten verursacht, nehmen wir vielleicht doch lieber das Monopol, oder?

Krankenkassen

Schon verblüffend: normalerweise sind sich alle einig, dass Wettbewerb etwas Tolles ist. Da müssten eigentlich alle froh sein, dass es Unmengen kleiner Krankenkassen gibt, die doch alle im Wettbewerb zueinander stehen müssten. Komischerweise beklagen sich aber dort die Politiker, die vielen Krankenkassen seien zu klein, um wirtschaflich zu sein. Wieso? Natürlich aus dem gleichen Grund, der auch beim Mobilfunk und in der Softwareindustrie gilt: Unternehmen können billiger werden, wenn sie größer sind. Manchmal geht das so weit, dass eben ein einziges Unternehmen den Markt am besten versorgt.

Wieso sehen die Politiker das bei den Krankenkassen, nicht aber beim Mobilfunk? Ich vermute, es liegt daran, dass im Gesundheitswesen die Vielzahl der Kassen künstlich herbeigeführt wurde, indem die Rahmenbedingungen so gesetzt sind, dass trotz der Menge an Kassen kein Wettbewerb zwischen ihnen herrscht. Daher konnten sich dort ungehindert viele kleine Krankenkassen halten, auch wenn sie unwirtschaftlich sind und daher unter Marktbedingungen schon längst verschwunden wären (vermutlich fusioniert hätten oder gekauft worden wären). Der jetzt entstandene Zustand ist so offensichtlich unwirtschaftlich, dass ihn sogar Politiker sehen.

Hoffentlich sehen sie auch eines Tages, dass Wettbewerb nicht durch die Anzahl der Anbieter entsteht, sondern durch die Rahmenbedingungen. Der Wettbewerb kann bei einem Monopol sogar größer sein als bei vielen Kleinen: Nämlich dann, wenn der Monopolist sein eigenen Wettbewerber ist oder wenn er große Angst vor neuen Unternehmen im Markt haben muss. Beides brauchten die Krankenkassen bisher nicht.

Und nur, falls Sie jetzt das Gefühl bekommen, ein Staatsmonopol sei die beste Lösung, dann sollten Sie sich dessen Auswirkungen noch einmal genauer ansehen.

Schreibe einen Kommentar