Version vom 27.10.2006 (25.09.06)

John Nash in Kürze

John Nash ist der Erfinder des Nash-Gleichgewichts und die dargestellte Person des Films „A Beautiful Mind„. Er erhielt 1994 (zusammen mit John Harsanyi und Reinhard Selten) den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Sein vollständiger Name ist John Forbes Nash jr.

John Nashs wichtigste Beiträge sind die Formulierung des Nash-Gleichgewichts (Nash equilibrium) und der Nash-Verhandlungslösung (Nash bargaining solution) sowie die Unterscheidung in kooperative und nichtkooperative Spiele.

John Nash wurde am 13.06.1928 in West Virginia geboren und promovierte an der Princeton University.

Das Genie John Nash

John Nash hat in gewisser Weise das gleiche Schicksal wie Steven Hawking: Beide sind an einer sehr auffälligen Krankheit erkrankt und vermutlich deshalb berühmter als sie es ohne diese Krankheit wären. Aber einen Unterschied gibt es: John Nash hat den Nobelpreis, Hawking nicht.

Vielleicht das Verblüffendste: Während die meisten Professoren stolz auf ihre lange Liste von Veröffentlichungen ist hat John Nash gerade einmal eine Hand voll davon. Aber für ein Genie genügen eben drei wesentliche Veröffentlichungen. Und mit diesen hat er nichts Geringeres getan als die Spieltheorie zu prägen, wie wir sie heute kennen und die Sozialwissenschaften völlig umzukrempeln.

Seine  Dissertation ist gerade einmal 32 Seiten lang, die Formeln sind mit der Hand geschrieben und das einzige Anwendungsbeispiel ist das Spiel Poker. Aber seine Arbeit ist visionär. Falls sich in dreihundert Jahren jemand fragt, was das 20. Jahrhundert in sozialwissenschaftlicher Forschung hervorgebracht hat, dann wage ich vorherzusagen, dass das Nash-Gleichgewicht ganz oben auf dieser Liste stehen wird; vielleicht wird es auch der einzige Punkt auf der Liste sein.

Möglicherweise fragen Sie sich an dieser Stelle, wieso ich hier dauernd von Sozialwissenschaften spreche, wo doch John Nash ein Mathematiker war und manchmal behauptet wird, er habe den Nobelpreis für seine mathematische Forschung erhalten. Das liegt einfach daran, dass er das Ganze zwar in ein mathematisches Gewand gekleidet und auch in mathematischen Journals veröffentlicht hat, dass die mathematische Seite seiner Arbeiten aber vergleichsweise einfach ist. Brutaler gesagt: Jeder Student der Mathematik im fortgeschrittenen Grundstudium hätte diese Beweise erbringen können. Aber auf diese Beweise kommt es gar nicht an, sondern die Grundidee ist es, die zählt. Und ihre Bedeutung für das echte Leben. Die Mathematik ist nur schmückendes Beiwerk. (Das gilt übrigens auch für viele der anderen Nobelpreisträger im Bereich Spieltheorie, vielleicht mit Ausnahme von John Harsanyi und Robert Aumann.)

Lange hatte ich mir gewünscht, John Nash’s Dissertation einmal im Original in die Hand zu bekommen, aber ich habe nirgendwo ein Exemplar gefunden. Mit dem In-die-Hand-Nehmen ist es nicht einfacher geworden, aber falls Sie das Bedürfnis verspüren, sie einmal zu lesen, dann können Sie das heutzutage bequem mit einem Tütchen Chips in der Hand vom Sessel aus tun, indem Sie hier klicken: John Nash’s Dissertation über „Non-cooperative Games“ vom Mai 1950.

Wofür hat John Nash den Nobelpreis bekommen?

Aber spätestens jetzt wollen Sie sicherlich endlich wissen, was der kuriose Mathematiker John Nash denn nun Großartiges vollbracht hat.

Ohne Zweifel seine wichtigste Idee ist das Nash-Gleichgewicht. Ich erspare Ihnen einmal die Details und sage Ihnen, wieso dieses Nash-Gleichgewicht so wichtig ist:

  1. Es ist die mathematische (also allgemeine) Formulierung eines sehr allgemeinen Prinzips, das an den verschiedensten Stellen der realen Welt auftaucht. John Nash’s Gleichgewicht beschreibt nicht nur das Verhalten vernunftbegabter Entscheider, sondern auch auch das von biologischen Systemen, das von Molekülen und das von Menschenmassen.
  2. Das Nash-Gleichgewicht beschreibt (das ist in dem Film A Beautiful Mind durchaus korrekt dargestellt), wieso Adam Smith’s Hypothese nicht immer korrekt ist, dass der Egoismus des Einzelnen zum Vorteil für alle führt. Insofern stellte John Nash durchaus die Wirtschaftswissenschaften auf den Kopf. Den Sozialwissenschaften erging es nicht anders: Indem das Nashgleichgewicht analysiert, was kollektiv möglich ist, wenn der Einzelne mitmachen muss, gerieten die kollektivistischen Ansätze in ebenso arge Bedrängnis wie die individualistischen Wirtschaftswissenschaften. Wir beginnen erst heute, alle Auswirkungen der einfachen Idee zu verstehen.

Darüber hinaus hat John Nash noch ein paar weitere Kleinigkeiten geklärt (oder zumindest bekannt gemacht, denn diese Ideen schwirrten damals schon in der Luft, vorausgesetzt, man trieb sich an der Princeton-Universiät oder dem MIT herum):

  • Er führte die gemischte Strategie einschließlich ihrer Interpretationsideen (Purifications) ein.
  • Indem er auf Populationsspiele zu sprechen kam, bereitete er die Analyse von Emergenz vor (also dem Auftreten von makroskopischen Erscheinungen aus dem Verhalten vieler Einzelwesen, wie zum Beispiel bei einem Schwarm).
  • John Nash prägte die Unterscheidung in kooperative und nichtkooperative Spieltheorie.
  • Außerdem definierte er die Nash-Verhandlungslösung für kooperative Spiele, die beschreibt, wie Verhandlungspartner einen Mehrgewinn aufteilen können, den sie gemeinsam erwirtschaften.
  • Er führte mit dem Nash-Gleichgewicht ein Lösungskonzept in die Spieltheorie ein, das endlich auch für Nichtnullsummenspiele überzeugend war, wodurch die ursprünglich fast militärisch erscheinende Spieltheorie eine echte Sozialwissenschaft werden und sich von dem Würgegriff der Nullsummenspiele befreien konnte.
  • Er führte die statische Interpretation ein, bei der die Spieler nicht durch einen Abfolge eingeschränkt rationaler Überlegungen zur rationalen Lösung kommen, sondern direkt dort hin springen. (Erinnern Sie sich an die Stelle mit der blonden Kommilitonin in A Beautiful Mind?)

Historisch betrachtet legten seine Arbeiten den Grundstein dafür, dass die Spieltheorie den Bereich der Mathematik verließ und auf realwissenschaftliche Sachverhalte angewandt werden konnte.

Um mich nicht allzusehr zu wiederholen, gebe ich hier einfach mal den Tipp, ein wenig auf meinen Seiten herumzusurfen, dann finden Sie das Nash-Gleichgewicht (und die anderen Ideen von John Nash) in den verschiedensten Spielvarianten und Geschmäckern – von Anwendungsbeispielen mit politischem bis philosophischem Hintergrund ebenso wie Erklärungen zu den mathematischen Prinzipien. Oder – natürlich – lesen Sie mein Spieltheorie-Buch.

Der Weg zu John Nashs Nobelpreis

Nach seinen ersten großen Würfen gab es lange Zeit keinerlei weitere Veröffentlichung von John Nash (nämlich ab 1966), aber jeder, der sich etwa seit den achtziger Jahren mit Spieltheorie beschäftigte, fand es einen Jammer, dass er den Nobelpreis wohl nie bekommen würde, weil er „verrückt“ war (ein Gastdozent, der aus Amerika zurückkam, berichtete, John Nash mit einer Rotweinflasche auf dem Campus der Princeton-University gesehen zu haben. Wir glaubten das damals alle, weil seine genaue Krankheit damals noch weitgehend unbekannt war).

Das Dumme war, dass es sinnvollerweise keinen anderen Nobelpreis für Spieltheorie geben durfte, solange John Nash keinen hatte. Das war sehr bedauerlich, denn die Spieltheorie hatte damals bereits (von Vielen noch unbemerkt) weite Bereiche der Wirtschaftswissenschaften durchzogen und war gerade dabei, auch in den Politikwissenschaften eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Schon damals zeichnete sich ab, dass praktisch die gesamte theoretische Literatur der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine Anwendung der Spieltheorie werden würde. Und dennoch kein Nobelpreis für den gesamten Bereich – das wurde zunehmend ein Problem.

Anfang der Neunziger bemerkten meine Kollegen und ich dann, dass der Name John F. Nash auf einmal ganz verschämt an verschiedenen Stellen auftauchte (zum Beispiel bei dem Editorial Board einer der angesehensten ökonomischen Journals). Es lag auf der Hand, was das zu bedeuten hatte: John Nash sollte doch endlich den Nobelpreis bekommen. Aber es passierte nichts.

Etwas später lag ein hoch vertrauliches Schreiben am Lehrstuhl, an dem ich damals Assistent war. Auch ich durfte nichts davon sehen oder gar lesen, aber zumindest der Absender war deutlich genug: das Nobel-Kommittee. Weiterhin fiel auf, dass mein damaliger Chef an einem geheimnisvollen Gutachten schrieb und sich sicher war, dass es Ende des Jahres den ersten Nobelpreis für einen deutschen Wirtschaftswissenschaftler geben würde. Das entsprach durchaus auch den Erwartungen derjenigen, die keinen vertraulichen Brief aus Schweden bekommen hatten. Denn unsere Theorie war, dass sich das Nobel-Kommittee nicht trauen würde, den Preis an John Nash allein zu geben, sondern gleichzeitig die beiden anderen natürlichen Kandidaten mit auszeichnen würde: Reinhard Selten (von der Universität Bonn) und John Harsanyi, die mit ihren Ergänzungen zum Nash-Gleichgewicht die nichtkooperative Spieltheorie erst richtig anwendbar gemacht hatten.

Aber es passierte immer noch nichts. Allen geheimen Gutachten und dem Auftauchen des Namens John F. Nash zum Trotz ging der Nobelpreis in jenem Jahr an einen Anderen. Genauso im Folgejahr. Langsam begannen wir die ganze Sache wieder zu vergessen, und außerdem war Reinhard Selten (der ja „unser“ Ansprechpartner in Sachen Spieltheorie war) immer darauf bedacht, dass niemand in seiner Gegenwart das Wort Nobel auch nur in den Mund nahm.

So bastelten wir weiter an spieltheoretischen Problemen oder Interpretationen, die außerhalb unserer sehr kleinen Kreise eigentlich niemanden so recht interessierten, um es einmal vorsichtig zu sagen. (Nicht selten wurde über uns gesagt, der Geisteszustand des größten lebenden Spieltheoretikers sei Vorbild für alle anderen, die sich damit beschäftigen.)

An einem sonnigen Herbsttag ging ich dann Mittagessen, und als ich zurückkam, war mein Anrufbeantworter voll mit Nachrichten. Schon nach der ersten Nachricht war klar, wieso: John Nash, Reinhard Selten und John Harsanyi hatten den Nobelpreis bekommen. Die ersten Nachrichten lauteten damals, der Preis sei für „nichtoperative Spieltheorie“ vergeben worden, und es gab ziemlich viele Menschen, die zu diesem Zeitpunkt gern wissen wollten, was das bitte schön sein sollte. Da mein Spieltheorie-Lehrbuch damals schon seit zwei Jahren auf dem Markt war und als das verständlichste Buch zum Thema galt (was hoffentlich auch heute noch zutrifft), traf mich die Ehre, zahlreichen verwirrten Journalisten zu erklären, dass es nicht nichtoperative, sondern nicht-kooperative Spieltheorie heißt und dass es zu allem Überfluss im nichtkooperativen Teil dennoch Kooperation geben könne. (Schon damals war damals der Zeitpunkt, zu dem einige Spieltheoretiker begannen, meine Darstellungen nicht zu mögen, weil ich die Spieltheorie nicht als eine mathematische Exotik ansah, sondern als eine Theorie, die auch praktische und sogar politische Konsequenzen hat. Aber zumindest durfte ich mich damals einige Wochen lang so fühlen, als hätte ich den Mini-Nobelpreis bekommen.)

John Nash’s Krankheit

Sie möchten mehr über John Nash’s Person und Leben erfahren? Das haben andere schon besser dargestellt als ich es könnte: Sehen Sie sich den Film A Beautiful Mind an – sehr spannend, und er zeigt eindrucksvoll die beiden Seiten – Genie und Wahnsinn – an John Nash. Wenn Sie die längere Version bevorzugen, dann können Sie auch das Buch über John Nash und seine Krankheit lesen. Kaum zu glauben, dass das Leben eines Mathematikers einen echten Thriller ergeben kann.

Über seine Theorien erfahren Sie dort natürlich nicht so viel, aber dafür gibt es ja meine Webseite www.spieltheorie.de, auf der Sie ein wenig weiter herumzustöbern können (zum Beispiel indem Sie oben die Google-Suchfunktion verwenden oder sich den Hyperlinks entlangklicken). Ich habe zahlreiche Beispiele für das Nash-Gleichgewicht behandelt.

Oder lesen Sie mein Spieltheorie-Buch – dort finden Sie John Nashs Theorien mit viel oder wenig Mathematik, ganz nach Geschmack.

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