Version vom 28.03.2009
Erstversion vom 07.03.09

Dividenden

Angeschlagene Unternehmen bekommen gleichzeitig Staatshilfen und zahlen Dividenden. Wenn das kein weiteres Zeichen grenzenloser Gier ist! Oder ist da etwa doch mehr Vernunft im Spiel als man denkt?

Kann denn Dividende Sünde sein?

Die ganze Diskussion über die Dividenden wird von einem sagenhaften Denkfehler bestimmt, der seltsamerweise selbst vielen „Experten“ nicht auffällt: Die meisten Menschen denken, ein Aktionär werde durch die Dividende reicher. Viele Politiker denken es, viele Journalisten denken es und sogar viele Aktionäre denken es selber. Aber es stimmt nicht. Eine Dividende macht den Aktionär um keinen Cent reicher.

Man versteht das sofort, wenn man sich die Geschichte des fiktiven Limonadenhändlers Xaver ansieht. Xaver hat eine kleine Firma, die im wesentlichen aus einer Garagenfüllung Limonadenkästen besteht. Da er selbst gern Limonade trinkt, hat er auch immer einen Kasten zu Hause stehen. Natürlich ist Limonade teuer, und daher schleicht er sich manchmal heimlich in die Garage und entnimmt eine Flasche aus seinem Lager, die er dann seiner privaten Kiste zuführt. Jedesmal freut er sich diebisch, wieder um eine Flasche reicher geworden zu sein.

Man sieht hier sofort, wie rührend lächerlich der Vorgang ist: Die entnommene Flasche verringert ja den Wert seiner Garagenladung um ebensoviel, wie er durch die private Flasche dazu gewinnt. Da ihm die Garage genauso gehört wie die „eigene“ Kiste, ist Xaver durch die transferierte Flasche genauso reich oder arm geblieben wie er es zuvor war.

Exakt das gleiche Prinzip gilt bei einer Aktiengesellschaft, wenn sie Dividenden ausschüttet. Dividenden sind Ausschüttungen aus einer Aktiengesellschaft an ihre Aktionäre. Diese Aktionäre sind die Eigentümer der Aktiengesellschaft, und damit gehört ihnen alles, was der AG gehört. Wenn auf dem Bankkonto der AG zum Beispiel eine Million Euro liegt, dann gehört diese Million automatisch demjenigen, dem die ganze Gesellschaft gehört. (Sie können sich zur Vereinfachung vorstellen, es gäbe nur genau einen Eigentümer und die AG habe keine Schulden, dann versteht man den Gedankengang leichter – er gilt aber im Prinzip genauso mit Schulden und bei vielen Eigentümern.)

Zahlt die AG von dem Bankkonto einen bestimmten Betrag aus, ohne dafür im Gegenzug etwas zu bekommen (nehmen wir als Beispiel eine Steuernachzahlung nach einer Betriebsprüfung oder eine Strafe), dann ist die AG nach dieser Zahlung um genau diesen Betrag weniger wert als sie es davor war. Und damit ist der Aktionär um genau diesen Betrag ärmer als er es davor war. Nehmen Sie nun die Zahlung einer Dividende: Auch dies ist eine Zahlung der AG nach außen, für die sie keine Gegenleistung erhält. Dadurch wird die AG um genau den Wert der Dividende weniger wert. Gleichzeitig erhält der Aktionär diese Zahlung. Somit wird das Bankkonto des Aktionärs um die Dividende größer und der Wert seiner Beteiligung an der AG um die Dividende kleiner. Im Resultat ist er genau gleich reich wie zuvor.

Weil das so ist, wird auch nach dem Tag der Dividendenzahlung im Kurszettel neben dem Aktienkurs vermerkt, dass eine Dividende gezahlt wurde. Dort steht dann „ex Dividende“ (meist abgekürzt als „exD“). Wer das liest weiß, dass ein Kursrückgang nicht auf schlechte Nachrichten zurückzuführen ist, sondern dass die Gesellschaft um den Gegenwert der Dividenden weniger wert geworden ist. Zahlt die AG zum Beispiel eine Dividende von 2 Euro pro Aktie, dann sinkt der Kurs am Folgetag automatisch um 2 Euro. (Natürlich gibt es – wie an jedem anderen Tag auch – weitere kursrelevante Ereignisse, die ebenfalls den Kurs beeinflussen. Fällt die Aktie dann bei einer Dividendenausschüttung von 2 Euro nur um 50 Cent, dann wäre sie an einem normalen Tag ohne Dividende um 1,50 Euro gestiegen.)

Erstaunlicherweise geht dieses elementare Wissen aber vielen ehemaligen Banklehrlingen und den meisten BWL-Studenten sehr schnell wieder verloren. Und so glauben dann Viele, die Dividende sei der Preis, der an die Eigentümer (also die Aktionäre) dafür gezahlt werde, dass sie der AG ihr Geld überlassen. Selbst Manager glauben das und halten die Dividende für die „Kapitalkosten“. Dennoch ist es falsch: Die Dividende macht die Eigentümer nicht reicher, sondern ist schlichtweg völlig neutral für deren Vermögen.

Falls Sie sich jetzt fragen, wieso man denn in ein Unternehmen investieren sollte, wenn man nie Dividenden bekommt: Gute Frage, aber keine schwierige Frage. Denn das Geld, das nicht ausgeschüttet wird, verbleibt ja im Unternehmen und erhöht somit dessen Wert. Folglich steigt der Wert des Unternehmens um die einbehaltenen Gewinne, die auf diese Weise ebenso bei den Eigentümern ankommen wie sie es bei einer Ausschüttung getan hätten. In der Tat erwarten ja Aktienkäufer auch in der Regel, dass die Aktie steigt. Die Rendite (also sozusagen der Zins), die an die Anteilseigner geht, entsteht aus dem Zusammenspiel von Kurssteigerung und ausgeschütteten Dividenden, wobei die beiden weitgehend austauschbar sind. Denn einmal angenommen, eine AG schüttet keine Dividende aus, man möchte aber gern das Geld herausziehen: kein Problem, dann verkauft man eben einfach einen kleinen Anteil seiner Aktien. Die Wirkung für einen Kleinaktionär ist praktisch identisch wie wenn eine Dividende gezahlt worden wäre.

Wieso zahlen Unternehmen dann überhaupt Dividenden?

Dafür gibt es im wesentlichen drei Gründe:

1. Steuerliche Aspekte. Manchmal kann man Steuern sparen, wenn ein Unternehmen Dividenden ausschüttet, anstatt den Betrag einzubehalten. Für die Diskussion über die Billigkeit von Dividenden spielt dieser Sachverhalt allerdings sicherlich keine Rolle. Lassen wir Steuern daher hier einmal beiseite.

2. Anreizwirkungen der Kapitalstruktur. Das ist ein ganz eigenes Thema, von dem ich weiter hinten einen Aspekt aufgreifen werde: die Wertvernichtung durch eine finanzielle Notlage. (Die Kapitalstruktur beschreibt, wieviel Eigen- und wieviel Fremdkapital ein Unternehmen einsetzt.)

3. Signalwirkung nach außen. Hier wird es spieltheoretisch und daher kümmern wir uns diesen Sachverhalt hier etwas genauer:

Wie wir eben gesehen haben, sind Dividenden völlig neutral für das Vermögen der Eigentümer einer Gesellschaft. Das gilt aber strenggenommen nur dann, wenn alle genau beobachten können, wieviel Vermögen in der Gesellschaft vorhanden ist. Tatsächlich ist dieses Ideal aber nicht ganz zu erreichen. Denn es gibt zwar eine Menge Rechnungslegungsvorschriften, die erreichen sollen, dass das Rechnungswesen die Firma nach außen so realistisch wie nur möglich darstellt, aber die Marktteilnehmer sind sich durchaus bewusst, dass die „Insider“ mehr über das Unternehmen wissen als die Außenstehenden. Das geht so weit, dass ein Manager mehr über das Unternehmen weiß als der Eigentümer. Denn der Eigentümer (die Aktionäre) kennen ihr eigenes Unternehmen nur aus dem veröffentlichten Rechnungswesen. Kleine Strömungen, die durchaus wichtig sein können, sind den Managern dagegen viel eher bekannt – auch schon lange, bevor sie veröffentlichungsrelevant werden.

Nuancenhafte Änderungen im Reklamationsverhalten oder im Auftragseingang, die Stimmung in der Kantine, das Bevorstehen eines Patents oder dessen Scheitern – das alles sind Dinge, die sehr sehr viel über den wahren Unternehmenswert aussagen, die aber erst mit großer Zeitverzögerung nach außen dringen.

Dass das so ist, freut die Manager der Unternehmen, bei denen diese „weichen“ Nachrichten schlecht sind. Aber es ärgert die Manager in den Unternehmen, in denen es gut läuft. Denn selbst wenn sie als Insider wissen, dass es gut laufen wird, dann hilft ihnen das denkbar wenig, solange sie es niemandem nach außen glaubhaft klarmachen können. Und das können sie nicht durch reines Sprechen, denn natürlich werden auch die anderen Manager nach außen immer erzählen, alles sei rosig, selbst wie es besser wissen.

Daher suchen die Manager der wirklich guten Unternehmen nach Möglichkeiten, diese Tatsache zu kommunizieren. Damit die Information glaubwürdig ist, müssen sie nach Zeichen suchen, die die schlechten Unternehmen nicht nachahmen können. Wie kann ein solches Zeichen aussehen? Eigentlich ganz einfach: Es muss so teuer sein, dass es sich die schlechten Unternehmen nicht leisten können.

Solche Zeichen sind weitverbreitet, und wir sind sehr gut in der Lage, sie zu lesen. Stellen Sie sich etwa zwei Hotels an einem Touristenort vor. Beim einen bröckelt der Putz herunter und die Fenster sind fleckig, das andere ist hervorragend renoviert und gut geputzt. In welchem werden die Zimmer eher frei von Kakerlaken sein? Und wieso renoviert das schlechte Hotel nicht einfach die Außenfassade und putzt die Fenster, um damit die Existenz der Kakerlaken zu verbergen? Ganz einfach, weil es sich das nicht leisten kann. Das gute Hotel sendet ein Signal, das das andere nicht imitieren kann. Das ist ein Grund für aufwendige und teure Werbung für Waschmittel und Rasierklingen, bei denen auch gleichzeitig große Summen in die Forschung fließen. Es ist ebenfalls ein Grund für Marmoreingänge und teure Hochhäuser – und für Dividenden.

Denn Dividenden sind ebenfalls in gewisser Weise „teuer“ für ein Unternehmen (mehr dazu gleich) und daher nicht durch Unternehmen zu leisten, denen es gerade sehr schlecht geht und die schlechte Zukunftsaussichten haben. Die Dividenden übernehmen damit die wichtige Funktion, dem Markt zu signalisieren, bei welchen Unternehmen die Insider sicher sind, dass es bald wieder besser aussehen wird.

Die Message der Dividenden lautet: Wir (die Insider) wissen mehr als ihr, und was wir wissen ist rosig. Deshalb können wir uns die Dividende leisten, von der ihr glaubt, sie sei unsinnig. Und die Marktteilnehmer verstehen diese Nachricht genau, denn sie wissen: Es wäre verrückt eine Dividende zu zahlen, wenn man nicht wirklich die guten Informationen hätte. Daher gibt es diese Info nur bei den wirklich guten Unternehmen. Und die, die keine Dividende zahlen, sind dann die schlechten Unternehmen. Man nennt diese Art von Situation in der Spieltheorie ein Signalling-Gleichgewicht, also ein Gleichgewicht, in dem eine die geheime Information eines Spielers an die anderen Spieler signalisiert wird.

Was spricht gegen Dividenden?

Wir haben eben gesehen, dass ein imitationssicheres Signal „teuer“ für den Sender sein muss. Was sind also die Kosten für eine Dividendenausschüttung?

Wir haben ebenfalls gesehen, dass eine Dividende zunächst einmal völlig neutral ist. Diese Analyse geht davon aus, dass das Unternehmen weit vom möglichen Konkurs entfernt ist. Die Sache ändert sich aber mit der Nähe zum Konkurspunkt. Denn es lässt sich zeigen, dass allein durch eine „finanzielle Notlage“ (financial distress) durch die Anreizprobleme der verschiedenen Interessengruppen Unternehmenswert vernichtet wird. Wie das genau funktioniert, ist eine längere Geschichte, über die ich vielleicht einmal einen eigenen Beitrag schreibe. Hier nur so viel: Die Notlage führt dazu, dass sich Eigentümer, Manager und Gläubiger des Unternehmens gegenseitig so blockieren, dass die Geschäfte plötzlich schlechter laufen. Allein die Nähe zur finanziellen Notlage führt also dazu, dass Unternehmenswert vernichtet wird.

Wenn nun die Dividende dazu führt, dass ein Unternehmen dicht an den Konkurspunkt kommt, dann ist das offenbar eine teure Sache; viel teurer als bei einem anderen Unternehmen, das noch weit vom Konkurspunkt entfernt ist. Genau hierdurch funktioniert ja die Signalwirkung der Dividendenzahlung, denn sie trennt die guten von den schlechten Unternehmen. Und damit wissen wir auch gleich, für welche Unternehmen Dividendenzahlungen schlecht sind: für die, denen es wirklich schlecht geht und die keine Chance haben, sich auf absehbare Zeit zu verbessern.

Und damit sieht man, wieso Manager so scharf darauf sind, Dividenden auch in einer Krise auszuschütten: Tun sie es nicht, sieht es so aus, als sei das Unternehmen schon so dicht am Konkurspunkt, dass sie sich das nicht mehr leisten können, und als wären die Zukunftsaussichten so schlecht, dass sich das Signal nicht mehr lohnt. Und zwar sähe es selbst dann so aus, wenn die Insiderinformationen in Wahrheit positiv sind. Es gäbe dann keine Möglichkeit mehr, positives Wissen nach Außen zu signalisieren, und der Markt könnte die guten nicht mehr von den schlechten Unternehmen unterscheiden.

Bei den Dividendenzahlungen geht also nicht um Gier, sondern um die Information darüber, wie gut oder wie schlecht es um die einzelnen Firmen wirklich steht. Es wäre ziemlich ungünstig, wenn es diese Art der Information nicht mehr gäbe.

Dividenden wegen fehlender Investitionsmöglichkeiten?

Mein Leser Patrick Weishaupt schickt mir folgenden wichtigen Hinweis:

„Bezüglich der Signalwirkung vertrete ich die Meinung, dass diese nicht eindeutig positiv ist. Dies liegt darin begründet, dass verschiedene Unternehmen auch unterschiedliche alternative Verwendungsmöglichkeiten für das Kapital haben, welches sie sonst den Aktionären in Form von Dividenden ausschütten würden. Hat ein Unternehmen genug Projekte zur Auswahl, die bei akzeptablem Risiko eine hohe Rendite versprechen, so ist es im Interesse der Aktionäre, dass das Geld im Unternehmen verbleibt. Dort kann es dann eine höhere Rendite erzielen, als es den Aktionären im Falle einer Auszahlung möglich gewesen wäre. Da das Unternehmen, wie in Ihrem Artikel hervorgehoben, den Aktionären gehört, profitieren diese direkt von der höheren Rendite. Folglich lässt sich nun aber die Ausschüttung von Dividenden auch als ein Mangel an guten Projekten interpretieren. Ein Unternehmen, welches keine rentablen Verwendungsmöglichkeiten für das vorhandene Kapital hat, sollte und wird eher geneigt sein, eine Dividende zu zahlen als eines mit aussichtsreichen Alternativen. In diesem Fall stellt die Ausschüttung von Dividenden ein negatives Signal dar.
Daher ist es meines Wissen auch in der finanzwirtschaftlichen Analyse üblich, diesen Sachverhalt zu untersuchen, bevor die Signalwirkung einer Dividendenzahlung beurteilt wird.“

Das ist in der Tat eine wichtige Ergänzung, die man nicht vergessen sollte. Um das Eingangspiel des Getränkehändlers Xaver aufzugreifen: In seiner Garage gibt es ein Eckchen, das stark von der Sonne beschienen wird. Wenn er die Limonade dort hinstellt, dann schmeckt sie schlechter und verliert dadurch ihren Wert. Wenn nun die Garage gerade besonders voll ist, dann müsste er die letzte Kiste in diese Sonnenecke stellen. In einer solchen Situation wird er tatsächlich reicher dadurch, dass diese Kiste statt in der Garage in seine Küche stellt und sie zu „seiner“ Kiste macht (bei einer Dividende würde man dazu „ausschütten“ sagen, bei Limonade lieber nicht).

Die Lehre daraus ist: Wenn Geldmittel außerhalb des Unternehmens besser verwendet werden können als innerhalb des Unternehmens, dann sollten diese Beträge als Dividende ausgeschüttet werden. Daher kann eine Dividendenzahlung tatsächlich auch ein Zeichen für ein Unternehmen sein, das keine guten Investitionsmöglichkeiten hat. Allerdings muss das nicht automatisch etwas Schlechtes sein. Denn es heißt zunächst einmal nur, dass das Unternehmen kein Potenzial für Wachstum hat – es kann dennoch gute Geschäfte machen, dort wo es eben tätig ist. Man findet diese Situation zum Beispiel öfters bei regional tätigen Energieversorgern. Selbst wenn sie kerngesund sind und gut verdienen, kann es sein, dass sie keinerlei Wachstumsmöglichkeiten haben, weil sie lediglich in einer bestimmten Region tätig sind und das nicht ändern wollen oder dürfen.

Mögen Sie Analysen wie diese? Dann gefällt ihnen sicherlich das Buch Coopetition meiner Kollegen Brandenburger und Nalebuff, in dem die Spieltheorie auf das Geschäftsleben angewandt wird.

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