Version vom 24.05.2006

Was Rauchen und Kinderwunsch gemeinsam haben

Raucher und Menschen mit Kinderwunsch leben in einem „sozialen Dilemma“. Das Schlimmste daran: ihre Gegenspieler sind sie selbst. 

„Eigentlich will ich ja aufhören“ ist vielleicht der häufigste Satz, den Sie von Rauchern zu hören bekommen. Aber irgend etwas ist daran nicht schlüssig: Wenn es jemandem lieber ist, nicht zu rauchen als zu rauchen, dann würde er nicht rauchen. Aus der puren Tatsache, dass er raucht, kann man also schon schließen, dass es ihm lieber war zu rauchen als nicht zu rauchen. Wie kommt es also, dass er raucht, es aber eigentlich lieber nicht getan hätte?

Eine mögliche Antwort liegt darin begründet, wen wir eigentlich als Entscheider ansehen (bzw. als Spieler, wie die Entscheider in der Spieltheorie genannt werden). Wir stellen uns gern vor, ein Mensch sei eine Einheit, die im Zeitablauf unveränderlich bestehen bleibt. Mit diesem philosophischen Grundkonzept im Kopf macht dieser Eine in der Tat etwas Paradoxes: Wissend, dass er die Nachteile des Rauchens nicht in Kauf nehmen will, raucht er trotzdem.

Nun gibt es schon lange Philosophen, die den Menschen nicht als eine im Zeitablauf konstante Einheit betrachten, sondern als etwas Veränderliches (ich denke da an Heraklids „alles fließt“). Diese Ansicht existiert auch in der Spieltheorie. Der Extremfall des nicht-konstanten Entscheiders ist der Agent, der in der Agentnormalform dargestellt wird. Folgen wir diesem Konzept, dann zerfällt unser Mensch in lauter einzelne Agenten, die jeweils nur wenige Minuten existieren, nämlich nur so lange, bis die nächste Entscheidung darüber ansteht, wieder eine Zigarette anzustecken oder es nicht zu tun.

Rauchen als soziales Dilemma

Jeder Agent, der jetzt vor der Entscheidung des Rauchens steht, denkt nun: „Die letzte Zigarette ist schon ganz schön lange her. Wenn ich jetzt eine neue Zigarette anzünde, dann schmeckt sie gut und ich bin glücklicher als ohne Zigarette.“ Also zündet er sie an. Während er dies tut, schreien alle anderen Agenten auf und rufen im Chor „Wie kannst du nur! Du schadest doch uns allen damit, und unser gemeinsamer Schaden ist viel größer als das Bisschen Genuss, das du aus dieser einen Zigarette ziehst! Denn wir alle gehören doch zum selben Spieler!“ Das fällt bei dem aktuellen Agenten aber auf taube Ohren, weil er nur für sich selbst entscheidet und der Schaden der Zigarette winzig ist, der auf ihn entfällt. Wie man sieht, haben wir es hier mit einer klassischen Dilemma-Situation zu tun (Sie kennen sie vielleicht unter dem Namen Gefangenendilemma): Während der Nutzen nur den Einen betrifft, verteilt sich der Schaden auf Alle. Infolgedessen ist es hier eine dominante Strategie, das zu tun, was man nicht tun würde, wenn man den Schaden komplett selbst tragen müsste. Wir finden eine ähnliche Konstellation bei der Entscheidung zwischen dem Auto- und Bahnfahren.

So kommt es, dass der nächste Agent, der eben noch über seinen Vorgänger gejammert hat, wiederum sagt: „Wenn ich diese Zigarette jetzt anzünde, dann schmeckt sie gut und ich bin glücklicher als ohne Zigarette. Zwar habe ich mich eben noch aufgeregt, als mein Vorgänger seine Zigarette angezündet hat, aber er hatte aus seiner Sicht ja recht. Denn der gesundheitliche Nachteil für mich ist praktisch gleich null, der Genuss aber ist daran gemessen groß.“ Spricht es und raucht, während seine nachfolgenden Agenten zetern, solange sie noch nicht selbst an der Reihe sind zu entscheiden. Und das Verrückteste: Nicht nur, dass der arme Raucher in einem sozialen Dilemma steckt, er ist auch noch Spieler und Gegenspieler in einer Person.

Der Kinderwunsch: Auch ein inneres Dilemma

Und was hat das mit dem Kinderwunsch zu tun? Kennen Sie den Satz: „Eigentlich möchte ich gern Kinder, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt“? Könnte es sein, dass hier der eine Agent der Gegenwart sein eigenes bequemes Leben ohne Kinder gegen das kleine Quäntchen Nachteil abwägt, das auf ihn entfällt, wenn nach Ablauf der biologischen Uhr alle Agenten ohne Kinder dastehen?

Wie der Transfer auf den Kinderwunsch genau funktioniert, das können Sie ja jetzt auch allein. Falls nicht, brauchen Sie mein Lehrbuch zur Spieltheorie.

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