Version vom 25.01.2007
Erstversion vom 24.11.2006

Das Ziegenproblem

Das Ziegenproblem ist eines der Probleme, das die Gemüter lange Zeit erhitzt hat und ganze Scharen von Mathematikern an den Rand der Verzweiflung gebracht hat (insbesondere, weil Sie von ihrer Intuition irregeführt wurden und lange gebraucht haben, das zu bemerken). Es gibt wohl keinen Spieltheoretiker, der Ende der 1980er Jahre nicht in irgendeiner Form über dieses Problem nachgedacht hat. Und das, obwohl es eigentlich gar kein Mehrpersonenspiel ist. Aber zunächst die Regeln für diejenigen, die das Problem noch nicht kennen sollten.In einer amerikanischen Quizsendung steht eine Kandidatin vor drei verschlossenen Türen, hinter denen in einem Fall ein Auto steht und in zwei Fällen eine Ziege. Die Kandidatin darf jetzt eine der Türen wählen; anschließend öffnet der Showmaster eine der verbleibenden zwei Türen, und zwar immer so, dass auf jeden Fall eine Tür mit Ziege geöffnet wird, sodass das Auto also hinter einer der noch verschlossenen Türen sein muss. Er bietet der Kandidatin dann an, jetzt noch einmal die Türe zu wechseln oder bei der zuerst gewählten Tür zu bleiben, bevor sie geöffnet wird. Die Kandidatin bekommt dann das, was hinter der von ihr endgültig gewählten Tür steht (wobei wir hier davon ausgehen wollen, dass sie das Auto der Ziege vorzieht).[1]

In einer Kolumne von Marilyn vos Savant  stellte jemand die Frage, ob es in dieser Situation besser sei zu wechseln oder bei der ursprünglichen Wahl zu bleiben. Die meisten Menschen dachten damals, dass es egal sein müsse. Marily vos Savant, die den höchsten jemals gemessenen IQ  hat und daher als der intelligenteste Mensch der Welt gilt, antwortete allerdings lapidar mit „wechseln ist besser“ und löste damit die Diskussion aus, in der es Wochen dauerte, bis sich die Menschheit auf die bis heute akzeptierte Lösung einigen konnte. Davor bekam sie allerdings so nette Zuschriften wie: „Sie sind die Ziege!“, oder: „Sie haben einen Fehler gemacht. … Wenn sich all diese Doktoren irren würden, dann wäre unser Land in ernsthaften Schwierigkeiten.“ Aber wenigstens ist der intelligenteste Mensch der Welt dadurch berühmt geworden.

Dabei lässt sich das Problem durch Anwendung des Satzes von Bayes lösen (Sie finden die Erklärung zu diesem Satz von Bayes auch in meinem Spieltheorie-Buch). Darin ist E das unbeobachtbare Ereignis (wo steht das Auto?) und B ist die Beobachtung (welche Tür lässt der Quizmaster geschlossen?). Das führt dann zu folgenden Werten, die wir für den Satz von Bayes brauchen:

P(E) =     Wahrscheinlichkeit, dass hinter einer Tür das Auto steht;
da es ein Auto hinter drei Türen gibt, ist dieser Wert 1/3

P(B) =     Wahrscheinlichkeit, mit der eine Tür nach der Wahl des Quizmasters geschlossen bleibt;
da der Quizmaster eine von zwei verschlossenen Türen öffnet, ist dieser Wert 1/2

P(B/E)     Wahrscheinlichkeit, mit der der Quizmaster eine Tür geschlossen lässt, wenn hinter ihr ein Auto steht;
da der Quizmaster nur eine Tür öffnet, wenn hinter ihr kein Auto steht, ist dieser Wert 1

P(E/B) =  Wahrscheinlichkeit, mit der hinter der vom Quizmaster geschlossen gelassenen Tür ein Auto ist;
dies ist der Wert, den wir suchen.

Eingesetzt in die Formel von Bayes ergibt sich:

Die Wahrscheinlichkeit, dass das Auto hinter der Tür steht, die der Quizmaster geschlossen lässt, beträgt somit 2/3, wogegen sie hinter der ursprünglichen Tür nur 1/3 beträgt. Somit ist klar, dass man seine Chancen auf das Auto verdoppelt, wenn man wechselt. [2] Vos Savant hatte also Recht.

 

Ich habe weiter oben schon erwähnt, dass dies eigentlich kein Mehrpersonenspiel ist. Denn der Quizmaster ist hier kein Entscheider, der sich noch aufgrund seiner eigenen Präferenzen zwischen zwei Türen zu entscheiden hat, sondern er verhält sich wie ein rein ausführender Algorithmus, der nur eine Tür öffnet, hinter der mit Sicherheit kein Auto steht. Somit handelt es sich hier um ein Spiel gegen die Natur (das heißt gegen die Wahrscheinlichkeitsverteilung, mit der hinter den Türen Autos und Ziegen stehen).

 

Update: Die Anfragen zum Ziegenproblem zeigen mir, dass hier noch ein gewisser Erklärungsbedarf besteht. Am besten, Sie lesen weiter in dem netten Buch zweier Experten zum praktischen Teil des Satzes von Bayes: Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit wird Ihnen mindestens das Kapitel 10 dort gefallen, in dem es sogar ein Ziegenproblem mit 1000 Türen gibt.

[1]     Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die echte Fernsehshow ein wenig anders lief als in der inzwischen überlieferten Variante: Der Moderator, Monty Hall, hätte auch gleich die erste vom Kandidaten gewählte Tür öffnen können, ohne zuvor einen Wechsel anzubieten. Zudem waren die Ziegen nur aufgeblasen. Aber ich finde das Beispiel mit echten Ziegen irgendwie plastischer.

[2]     Nur falls Sie sich fragen, ob ich damals die korrekte Lösung gefunden habe: ich habe es nicht. Aber ich hatte auch keine falsche Lösung, sondern ich habe glücklicherweise bemerkt, dass ich so etwas weder im Kopf lösen kann, noch eine Formel finde. Statt dessen habe ich es einfach mit einem Computer simuliert, und wenn man das macht, dann sieht man sofort, dass man das Programm gar nicht mehr laufen lassen muss, sondern dass vos Savants Lösung richtig ist. Auf diese Weise hat sie dann übrigens auch den Rest der Menschheit überzeugt. Die Idee mit dem Satz von Bayes, so offensichtlich sie eigentlich sein sollte, stammt von Steffen Huck und ist mir nicht selbst in den Sinn gekommen.

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