Version vom 19.06.2008
Erstversion vom 19.06.08

Über einen Konflikt, der keiner ist

Die Spieltheorie wird oft wahrgenommen als eine Wissenschaft, die ausschließlich Konkurrenzdenken fördert. Das liegt sicherlich daran, dass das Gefangendilemma so bekannt geworden ist, ein Spiel das die Zusammenarbeit zwischen den Spielern verhindert. Aber selbstverständlich kann die Spieltheorie auch Situationen beschreiben und untersuchen, bei denen die Spieler völlig gleichgerichtete Interessen haben.

Ein derartiges Spiel ist das Win-Win-Spiel. Bei diesem Spiel können sich die Spieler auf mehrere verschiedene Verhaltensweisen koordinieren, von denen beide Spieler dieselbe bevorzugen. Ein Sonderfall des Win-Win-Spiels ist die Hirschjagd:

Bei diesem Spiel gehen zwei Spieler auf die Jagd und müssen sich unabhängig voneinander entscheiden, ob sie einen Hirsch jagen oder ob sie mit einem Hasen vorlieb nehmen. Den Hirsch bekommen sie nur, wenn beide mitmachen, einen Hasen erlegt auch jeder für sich allein. Beides auf einmal zu jagen ist nicht möglich. Das zugehörige Spiel sieht folgendermaßen aus:

Jägerin 2:

Hirsch

Hase

Hirsch

(5, 5)

(0, 1)

Jäger 1:

Hase

(1, 0)

(1, 1)

(Falls Sie diese Matrix-Schreibweise der Spiele nicht gewohnt sind, lesen Sie bitte hier nach, wie man ein Spiel in Normalform liest.)

Wie man leicht sieht, ist es sowohl ein Nash-Gleichgewicht, wenn beide Spieler den Hirsch jagen, als auch wenn beide einen Hasen jagen. Allerdings gewinnen beide Spieler beim Hirsch eine Auszahlung von 5, beim Hasen dagegen nur eine Auszahlung von 1. Die Zusammenarbeit lohnt sich also für beide und es gibt eigentlich gar keinen Interessenkonflikt.

Aber es gibt einen Haken. Johann von Neumann und Oskar Morgenstern haben in ihrer ersten Veröffentlichung über Spieltheorie die Maximin-Strategie als Lösungskonzept vorgeschlagen, die immer davon ausgeht, dass der Gegenspieler das für einen selbst denkbar schlechteste tut. Maximin versucht daher, das Minimum zu maximieren, das ein Spieler bekommen kann. In der Hirschjagd ist das Minimum null, wenn man den Hirsch jagt, dagegen ist das Minimum eins, wenn man den Hasen jagt. Also empfiehlt die Maximin-Verhaltensweise, lieber den Hasen zu jagen, weil man dort gegen leere Taschen abgesichert ist.

Ist das sinnvoll? Ganz allgemein ist Maximin nur dann eine wirklich sinnvolle Empfehlung, wenn die Interessen der Gegenspieler tatsächlich völlig gegensätzlich sind (das ist in den Nullsummenspielen der Fall, die in den Anfängen der Spieltheorie die Diskussion beherrscht haben). Die Hirschjagd ist aber kein Nullsummenspiel, sondern eines, bei dem man durch die Zusammenarbeit sehr viel gewinnen kann (übrigens ein Sachverhalt, dem sich das gesamte Buch Coopetition widmet). Es gibt daher viele gute Gründe, sich darauf zu verlassen, dass der andere Jäger tatsächlich bei der Hirschjagd mitmacht und nicht den kleinen Hasen hinterherläuft. Das gilt besonders, wenn vor dem Spiel eine Kommunikation vorausgegangen sein sollte.

Ein wenig riskant wird es allerdings, wenn man nie kommunizieren konnte und sich mit einem unbekannten anderen Jäger auf die Hirschjagd koordinieren muss. Dann kann es schon sein, dass das geringere Risiko der Hasenjagd auf einmal ein Argument wird – und man darf nicht vergessen, dass dies eigentlich die strengen Grundannahmen in der nichtkooperativen Spieltheorie sind. Was dann? Auf einmal kommt man zum Anwendungsfeld der Gleichgewichtsauwahltheorie, die versucht Kriterien zu entwickeln, unter welchen Bedingungen welches von verschiedenen überzeugenden Gleichgewichten gespielt wird. Die wohl bekannteste Gleichgewichtsauswahltheorie stammt von den beiden Nobelpreisträgern John Harsanyi und Reinhard Selten. In dieser Theorie stehen in der Tat die beiden Prinzipien „Auszahlungsdominanz“ (also: beide Spieler bekommen mehr) der „Risikodominanz“ (also: wie riskant ist es, sich auf eine Strategie einzulassen?) gegenüber.

Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, kommen Sie nicht um mein Spieltheorie-Lehrbuch herum. Wenn Sie dagegen eine sehr originelle filmerische Umsetzung der Hirschjagd ansehen wollen, dann werfen Sie einmal einen Blick auf die Hirschjagd als Film bei YouTube der beiden Studentinnen Ulrike Dreyheller und Jessica Müller.

Ein kurzer Hinweis zum Verständnis: In dem Film kommt zwischendrin eine Auszahlungsmatrix vor, in der die Auszahlungen als zwei Zahlen vom Typ 2:4 geschrieben werden. Das bedeutet nicht, dass hier eine Art Torverhältnis besteht, sondern dass Spielerin 1 eine Auszahlung von 2 bekommt und Spielerin 2 eine Auszahlung von 4. Beide mögen höhere Auszahlungen lieber als kleinere Auszahlungen, egal wieviel die andere Spielerin hat. Und jetzt viel Spaß beim Ansehen des Films!

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