Version vom 19.10.2007
Erstversion vom 15.10.07
Mechanismus-Design ist angewandte Spieltheorie
Ich habe offenbar einen guten Riecher: Der diesjährige Wirtschafts-Nobelpreis wurde für eine Forschung verliehen, zu der ich exakt in diesem Augenblick ein neues Buch herausgebe. Der Nobelpreis wurde für Mechanismusdesign vergeben an die drei Ökonomen Leonid Hurwicz, Eric Maskin und Roger Myerson. Eine praktische Anwendung des Mechanismusdesign im Geschäftsleben ist die Coopetition.
Aber eines nach dem anderen: Das Mechanismus-Design beschäftigt sich damit, wie man die Regeln eines Spiels gestaltet. Und zwar so, dass der Gestalter ein von ihm gewünschtes Ziel erreicht. Dieses Ziel können so eherne Dinge sein wie Wohlfahrtsmaximierung („wie müssen die Regeln des Zusammenlebens gestaltet sein, damit es uns allen möglichst gut geht?“) oder so profane Dinge wie die Regeln einer staatlichen Ausschreibung oder auch die Regeln, wie zwei Konkurrenten miteinander umgehen.
Eine solche Regelgestaltung (also ein Mechanismusdesign) zwischen Konkurrenten habe ich ausführlich für die beiden Elektro-Märkte Saturn und Mars beschrieben. Ich zeige dort ausgehend vom Beispiel der bekannten Werbungen von Saturn und Media-Markt, wie zwei Unternehmen für sich selber Regeln festlegen können, mit denen sie erreichen, dass die betroffenen Spieler sich „aus Eigennutz“ so verhalten, wie sie es beim Gestalten der Regeln geplant hatten. (In dem Beispiel designen sie die Regel der Tiefstpreisgarantie: Indem sie die Regel einführen, mit jedem Preis des Konkurrenten mitzuziehen, erreichen sie, dass keiner die Preise senkt.)
[Kleiner Einschub: Derartige Fragestellungen sind der Inhalt des Buches Coopetition. Das Buch beschreibt, wie man man die Regeln im Geschäftsleben so gestalten kann, dass man am Ende gut abschneidet. Coopetition ist also eine Anwendung des mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Mechanismus-Designs auf das Geschäftsleben, und zwar so, dass man diese abstrakte Theorie praktisch anwenden kann. Wie auch in meinem Saturn-Media-Beispiel ist hier lediglich die Besonderheit, dass die Designer des Mechanismus hier auch gleichzeitig die betroffenen Spieler sind. Im klassischen Mechanismusdesign sind dies unterschiedliche Personen.]
Um das Mechanismusdesign ein wenig mehr in die übliche spieltheoretische Sprache zu übersetzen: Die Spieler verhalten sich in nicht-kooperativen Spielen entsprechend des Nash-Gleichgewichts, und nun muss man die Regeln so gestalten, dass das gewünschte Verhalten ein solches Nashgleichgewicht ist. In gewisser Weise geht das Mechanismusdesign den üblichen Weg der Spieltheorie rückwärts: Während man normalerweise fragt, wie ein bestimmtes Spiel gespielt wird, fragt man im Mechanismus-Design, wie man ein Spiel gestalten muss, damit die Spieler es auf bestimmte Weise spielen.
Beispiel für ein Mechanismus-Design
Schon an den aktuell eingehenden Anfrage sehe ich: Ich sollte ein paar konkrete Beispiele geben. Ich will es einmal mit zwei Beispielen machen: Eines mit Bedeutung für das tägliche Leben, und ein abstraktes, aber methodisch anschauliches Beispiel.
Ein Beispiel für einen bekannten „Mechanismus“ ist die gesetzliche Regel, dass sich Konkurrenten nicht über Preise absprechen dürfen. Man will damit erreichen, dass es ein Nash-Gleichgewicht bleibt, sich gegenseitig zu unterbieten. Ohne diese Regel würden die Anbieter wie ein Monopol auftreten und viel höhere Preise verlangen – zum Nachteil der Käufer. Derjenige, der diese Regel gestaltet hat, ist der Gesetzgeber. Das ist der übliche Fall im Mechanismus-Design: Eine übergeordnete Instanz bestimmt die Regeln. Wie macht sie das?
Das soll das nächste Beispiel verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, Sie feiern einen Kindergeburtstag und jedes Kind erhält ein Schächtelchen mit Süßigkeiten darin, die aber alle ein wenig andere Inhalte haben. Alle Kinder sehen sich ihre Schätze genau an und freuen sich schon daran; jeder kennt seine eigene Schachtel genau, aber nicht die der anderen. Auf einmal kommt ein Windstoß und kippt alle Schachteln um, sodass alle Spielsachen und Süßigkeiten vermischt auf dem Boden liegen. Wie kann man die Kinder dazu bringen, wahrheitsgemäß zu sagen, was ihnen gehört und was nicht?
Würde man sie einfach fragen, ist der Anreiz groß, ein wenig zu schummeln. Ein Kind hat keinen Nachteil, wenn es schummelt, sondern bekommt vielleicht etwas mehr. Schlimmer: Für jedes ehrliche Kind besteht die Gefahr, dass es von den schummelnden Kindern über den Tisch gezogen wird. Schummeln ist hier im (Nash-) Gleichgewicht, Wahrheit sagen dagegen nicht. Das Problem besteht in der asymmetrischen Information: Jedes Kind kennt seinen eigenen Korb, aber nicht den der anderen. Gibt es einen Mechanismus, der die Kinder trotz dieser Rahmenbedingungen dazu bringt, die Wahrheit zu sagen?
Es gibt ihn, wenn man dafür sorgt, dass die Wahrheit zu sagen einen Vorteil bringt, am besten dominant ist, gegenüber dem Unwahrheit sagen. In diesem Fall gibt es tatsächlich einen solchen Mechanismus: Wir als die Eltern (also die übergeordnete Instanz, die einen Mechanismus implementieren kann) legen folgende Vorgehensweise fest: Jedes Kind nennt uns den Inhalt der eigenen Schachtel, ohne dass die anderen es hören können. Dann sehen wir, ob alle am Boden liegenden Gegenstände genau einmal genannt wurden. Falls mindestens ein Gegenstand mehr als einmal genannt wurde, dann bekommt keines der Kinder irgend etwas, sondern wir essen alles selber auf. Denn dann muss mindestens ein Kind gelogen haben.
Als Folge verschlechtert sich jedes Kind durch eine Lüge sofort gegenüber dem Zustand, wenn es die Wahrheit sagt, und folglich sagen alle die Wahrheit. Durch den von uns implementierten Mechanismus ist es ein Nash-Gleichgewicht geworden, die Wahrheit zu sagen. Genau das haben wir mit dem Design des Mechanismus beabsichtigt. Genial, oder?
Aber ich muss zum Abschluss einen Dämpfer mitgeben: Die Nobelpreisträger – Hurwicz, Maskin und Myerson – haben nicht nur die Grundlagen dafür geschaffen, dass so etwas geht, sondern auch gezeigt, dass es nicht immer geht. Das ist schade. Aber seine Grenzen zu kennen ist ja auch schon etwas.
Was uns nicht abhalten soll, Regeln zu gestalten, wo immer es geht. Wie es im Geschäftsleben geht, steht in Coopetition (lieferbar ab spätestens 1. November 2007 für 25 Euro).
Noch mehr Beispiele für Mechanismus-Design
Also gut, der Hunger ist noch nicht gestillt, ich merke es. Daher gebe ich noch ein paar weitere praktische Anwendungen des Mechanismus-Designs – denn es durchzieht sowohl die Spieltheorie als auch unser Leben mehr als man denkt.
Zum Beispiel ist die Gestaltung eines Wahlrechts für Parlamente eine praktische Anwendung des Mechanismusdesign. Es genügt nicht, einfach Demokratie auszurufen, sondern man braucht ganz genaue Regeln, nach denen die demokratischen Prozesse funktionieren. Abstimmungsregeln sind damit Mechanismen, die designed und implementiert wurden, um bestimmte demokratische Ziele zu erreichen.
Ein anderes Beispiel ist das weltbekannte Gefangenendilemma (für die Geschichte zum Spiel lesen Sie die Cover story in der Spalte links): Ein Kommissar legt die Verhörmethoden so fest, dass sich zwei Verdächtige selbst verraten müssen. Meist empfindet man das Gefangenendilemma als „Versagen“ der beiden Gefangenen (weil sie nicht kooperieren können), aber man übersieht, dass hier absichtlich eine Regel (ein Mechanismus) implementiert wurde, der genau das erreichen soll. Im Kartellrecht ist diese Vorgehensweise Gang und Gäbe, und die meisten freuen sich darüber, dass es den Anbietern nicht gelingt, zu kooperieren und ein Kartell zu bilden.
Ein nächstes aktuelles Anwendungsgebiet für Mechanismusdesign ist das Rauchen in öffentlichen Räumen. Wir streben im Moment zu einem einfachen Verbot, aber man hätte ja auch ein „marktliches“ Verfahren wählen können, bei dem die Raucher den Nichtrauchern etwas dafür bezahlen, dass sie rauchen dürfen. Man hätte zum Beispiel Mechanismen implementieren können, nach denen ein Raucher höhere Preise für sein Bier zahlt als ein Nichtraucher.
Ob ein Mechanismus mit der gewünschten Wirkung auch wirklich existiert, ist allerdings noch eine andere Frage. Denn die Betroffenen werden natürlich immer versuchen, sich im Rahmen der Regeln so günstig wie möglich zu verhalten. Weil nur jeder selbst weiß, wieviel ihm das Rauchen oder die saubere Luft in der Kneipe wirklich wert ist, kann er zum Beispiel über seine eigene Zahlungsbereitschaft lügen und es damit manchmal unmöglich machen, einen Mechanismus zu implementieren. Oft besteht die Kunst des Mechanismusdesigns daher darin, Anreizkompatibilität zu schaffen, also durch den Mechanismus die Betroffenen dazu zu bringen, ihre Geheimnisse zu verraten, weil sich dadurch besser stellen als wenn sie es nicht täten.
Die Mechanismus-Design-Theorie zeigt übrigens auch, dass es oft verschiedene Wege zum Ziel gibt. Das Problem mit dem Rauchen in Kneipen kann man nicht nur dadurch lösen, dass die Raucher bezahlen, damit sie rauchen dürfen. Sondern es ließe sich ebensogut lösen, indem die Nichtraucher die Raucher dafür bezahlen, dass sie nicht rauchen. Das mag nicht unserem (derzeitigen) Gerechtigkeitsempfinden entsprechen, aber es würde ebenso dazu führen, dass die Aufteilung am Ende effizient ist (effizient ist eben noch lange nicht „gerecht“). Allerdings dürfte die Implementierung einer solchen Regel daran scheitern, dass beide Parteien über ihre wahren Präferenzen schummeln. Die Idee mit dem unterschiedlichen Bierpreis ist dagegen schwerer zu umgehen, denn dort muss man ja bei zu viel Schummeln auch durstig bleiben. Genau das ist Mechanismus-Design – oder eben Coopetition.